Augst & Daemgen

DEIN LIED

Verlag/Label: Kuckuck Schallplatten 11110-2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 90

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Eine über Jahre bewährte Zusammenarbeit verbindet den Sänger, Komponisten und Hörspielautor Oli­ver Augst mit dem ebenfalls komponierenden sowie als Produzent und Live-Musiker aktiven Marcel Daemgen. Im Zeichen musika­lischer Grenzgängerei legten die beiden, die sich dafür zur Band ARBEIT zusammentaten, schon mehrere Einspielungen vor, die sich so unterschiedlichen Bereichen zuwandten wie dem deutschen Volkslied (An den deutschen Mond) oder, in Neubearbeitungen, den Songs von Brecht und Eisler, den Kampfliedern der Linken (Album Marx) oder den Chansons von Peer Raben.
Die neue CD von Augst und Daemgen, mit DEIN LIED in Majuskeln betitelt, setzt sich auf die Spur des deutschen Schlagers. Sie folgt der Faszination durch das anscheinend Triviale und einfach Gestrickte, das vom Standpunkt des Kunstanspruchs aus offiziell als Kitsch Verachtete, das dennoch insgeheim jenseits der Grenzen des Verstandes seine emotionale Wirkung ausübt.
Freilich: die beiden Musiker werfen sich dem Genre Schlager nicht einfach naiv an die Brust, sondern blicken eher aus gehöriger Distanz auf das Phänomen des populären Lie­des. Die wenigsten der Nummern auf der CD geben sich, wie etwa der Boy für eine Nacht, offen schlagerhaft: Es fehlen dessen typischer Sound, das Ohrenschmeichelnde und Schmalzige im mit Schleifern und Vibrati bereicherten Stimmvortrag, das üppige Arrangement, womöglich noch mit Background-Chor. Eher wird das Schlager-Idiom bei ihnen getrocknet, seziert oder skelettiert. Mit bewusster Dampfradio-Ästhetik erklingt vieles wie aus der Ferne (das halb geflüsterte Irgendwo), mit gezielten Verzerrungen der instrumentalen Klänge oder – wie beim Zitat des Muss i denn zum Städtele hinaus – als selbstvergessenes Brummeln dessen, der quasi im Badezimmer vor sich hin singt.
Der Schlager wird nicht denunziert, aber doch in experimentierfreudiger Weise an seine Grenzen geführt. Die Texte von John Birke, Johanna Milz, Julia Mantel und Wolfgang Müller geben sich oft minimalistisch, streifen die Nonsens-Grenze und meiden vorwiegend das herkömmliche Herz/Schmerz-Gefilde. Neukalibrierung, der Titel der ersten Nummer auf der CD, könnte als Motto über der ganzen Unternehmung stehen.
Begleiten lassen sich Augst und Daemgen vom schwedischen Schlagzeuger (und Performancekünstler) Sven-Åke Johansson, zudem beteiligen sich weitere Gäste an der Neuproduktion: Der US-amerikanische Zeichner und Poet Raymond Pettibon, mit dem Augst schon 2007 das Musical The Whole World is Watching realisierte, intoniert das Muss i denn (eine Hommage wohl an frühere Interpreten wie Elvis Presley oder Gus Backus); ein weiteres Zitat, seinen unvergessenen Hit Es fährt ein Zug nach Nirgendwo von 1972, stimmt der Schlagersänger Christian Anders zusammen mit Oliver Augst an.

Gerhard Dietel