Lück, Hartmut / Dieter Senghaas (Hg.)

Den Frieden komponieren?

Verlag/Label: Reihe «edition neue zeitschrift für musik», Schott, Mainz 2010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 94

Ist es möglich, den Frieden zu komponieren? Falls ja, wie klingt dann eine Musik des Friedens? Diese Fragen erörterte letztes Jahr das Symposium «Den Frieden komponieren» unter der Leitung der Komponistin und Professorin Younghi Pagh-Paan und des Friedensforschers Dieter Senghaas, der bereits mehrere Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht hat.
Senghaas eröffnet das Buch mit einer allgemeinen Einführung am Beispiel des Komponisten Klaus Huber, der sich anno 2007 bei den Donaueschinger Musiktagen in seinem Stück Quod est Pax? gefragt hat, was Frieden überhaupt sei. Im Laufe von Senghaas’ Essay wird allerdings klar, dass diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist. Stattdessen muss ihr mit Annäherungen begegnet werden, in denen zur Diskussion gestellt wird, «welche einzelnen und kombinierten Schritte zum Frieden erforderlich sind». Es geht also um die Schaffung von möglichen Friedensszenarien, die Senghaas in seinem Vortrag aus der Perspektive der Musik bespricht. Als Beispiel nennt der Friedensforscher
u. a. das von Helmuth Rilling initiierte Requiem der Versöhnung, eine Gemeinschaftskomposition von diversen euro­päischen Komponisten, ein musikalischer Brückenbau, der unterschied­liche Länder und kulturelle Backgrounds miteinander vereint. Er erwähnt auch die Mu­sik von Kurt Weill und Hanns Eisler, deren sozialistische Triebkraft «die sozialen Nöte mittelloser und entrechteter Menschen hörbar werden ließ». Dass es sich bei diesen Beispielen um Arbeiten aus dem Milieu der Programmmusik handelt, deren Inhalte sich nur durch außermusikalische Quellen erschließen, liegt auf der Hand. «Der musikalisch-ästhetische Transport der Idee des Friedens wird erleichtert durch die Verwendung eines entsprechenden Textes», schreibt Hartmut Lück in seinem Beitrag, der Beispiele einer Musik des Friedens von Heinrich Schütz bis Luigi Nono präsentiert.
Die Frage, ob es einen Sound des Friedens gibt, ob purer Klang sogar politische Inhalte transportieren kann, zumindest dazu in der Lage ist, soziale Missstände zu kritisieren, wird von Gisela Nauck anhand von «musikalischen Handlungskonzepten» der neuen Musik erforscht, der sie aufgrund ihres «nichthierarchischen Verhaltens» ausschließlich die Fähigkeit zuspricht, «die Voraussetzungen für (ein) friedliches Verhalten mit möglichen Übergängen auf den Spielplatz des Lebens und der Wirklichkeit» zu liefern. Dass diese Bedingungen auch außerhalb der neuen Musik existieren können, wird leider nicht erwähnt. Fakt ist aber, dass die Avantgarde der 1960er Jahre tatsächlich Kompositionsstrategien entwickelte, die «auf ein humanistisches – ein friedliches – Zusammenleben gerichtet» sind und bis heute nachwirken. Man denke nur an die Musik von John Cage, Christian Wolff oder Cornelius Cardew. Interessant ist zudem die Erwähnung der Wandelweiser-Gruppe, die in ihrer radikalen materiellen Reduktion buchstäblich eine friedliche, eine Musik der Ruhe komponiert.
In einer Zeit, die zunehmend von kriegerischen Auseinandersetzungen und sozialer Ungerechtigkeit geprägt ist, bietet der vorliegende Band interessante Einblicke und Anregungen, wie Komponisten und Musikwissenschaftler dem Unfrieden in unserer Welt begegnen.
Raphael Smarzoch