Schultz, Wolfgang Andreas

Denn wo die Lieb erwachet

Todessehnsucht in der Musik des 19. Jahrhunderts.

erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2006/06 , Seite 30
Was sucht der todtraurige Wanderer der Winterreise? Natürlich Heilung von den Schmerzen seiner unglücklichen Liebe – und es scheint keinen anderen Weg zu geben als den Tod. Wirklich nicht? Seiner (musikgeschichtlich) jüngeren Schwester Ariadne geht es ebenso, auch sie sehnt sich nach dem Tod, nachdem Theseus sie verlassen hat, sie aber hat das Glück, einem Gott zu begegnen, der sie verwandelt. Hugo von Hofmannsthal erklärt uns das «simple und ungeheuere Lebensproblem: das der Treue. An dem Verlorenen festhalten, ewig beharren, bis an den Tod – oder aber leben, weiterleben, hinwegkommen, sich verwandeln, die Einheit der Seele preisgeben, und dennoch in der Verwandlung sich bewahren …»1 Der Wanderer und auch der Müllerbursche kennen – vielleicht sind sie dafür noch zu jung – nicht das Geheimnis der Verwandlung, denn «der Name ist verwachsen mit einem anderen Namen», wie Ariadne singt, und daran darf sich nichts ändern. Ist Todessehnsucht insgeheim eine nicht verstandene Sehnsucht nach Verwandlung?