Der Holdestein

Chorwerke von Franz Schreker, Robert Fuchs und Walter Braunfels

Verlag/Label: Carus 83.399
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/03 , Seite 83

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

Dass alle Werke auf dieser CD Erstein­spielungen sind, ist bemerkenswert, aber auch zweischneidig. Nichts gegen Entdeckungen und Erweiterung des Repertoires, aber wurde Franz Schrekers frühe Chormusik bislang vollkommen zu Unrecht vernachlässigt? Jedenfalls muss man sich bei den überwiegend noch in seiner Studienzeit entstandenen Kompositionen auch auf die eine oder andere Enttäuschung gefasst machen – eingefleischte Chorenthusiasten womöglich ausgenommen. Zweifellos beherrschte Schreker (1878 -1934) schon in jungen Jahren sein «Handwerk», hatte ihn doch die reiche Wiener Chortradition geprägt. 14-jährig wirkte er bereits als Organist, 17-jährig wurde er Mitglied eines Männergesangsvereins. Kurz darauf gründete er den ersten eigenen Chor. Auch während des Musikstudiums stießen seine Qualitäten als Chorleiter allenthalben auf Resonanz.
Große Bedeutung für Schreker erlangte dann der 1908 gegründete Philharmonische Chor, dem er maßgeblich künstlerisches Profil verlieh. Mit ihm verschrieb er sich zumal dem Zeitgenössischen. An wichtigen Ur- und Erst­aufführungen, so von Gustav Mahlers 8. Sinfonie und Arnold Schönbergs Gurreliedern, war der Chor beteiligt. Obwohl Schreker den von Schönberg und seinen Schülern um 1908 vollzogenen Durchbruch zur «atonalen» Musik nicht in letzter Konsequenz mittrug, wandelte er sich auch in seinem eigenen Schaffen mehr und mehr zum Verfechter der «Moderne». Zum diesbezüglichen Fanal geriet seine Oper Der ferne Klang (Uraufführung 1912).
Als Schreker die allermeisten seiner Chorwerke schrieb, war er davon indes noch weit entfernt – und so lassen sie Kommendes lediglich erahnen. Von vor 1898 stammt etwa Der Holdestein, worin Schreker dramatisches Gespür und Sinn für «Schauerromantik» zeigte. Umsichtig geleitet von Michael Alber und versiert begleitet von dem Pianisten Konrad Elser, lässt das Orpheus Vokalensemble, ohne übermäßig zu forcieren, Schrekers stärkeren Stücken Charme und Tiefgang angedeihen; und in den schwächeren ist es redlich bemüht, dürrem Stroh einen Hauch goldenen Glanzes zu entlocken.
Klangliche Raffinesse und satztechnische Eleganz versprühen dagegen die um 1900 verfassten Gesänge für Frauen­chor op. 65 und 66 von Robert Fuchs, Schrekers Kompositionslehrer von 1897 bis 1900. Einen spannenden Kontrast dazu bilden nicht nur im Hinblick auf das Kolorit die Zwei Männerchöre op. 41 von Walter Braunfels. Auch Braunfels hatte eine Verbindung zu Schreker, hatte der doch, wie Christopher Hailey in seinem fundierten Booklet-Text zu berichten weiß, im Dezember 1911 besagten Philharmonischen Chor in der Wiener Erstaufführung von Braunfels’ Offenbarung Johannis geleitet.
Die verschiedene Schaffensperioden Schrekers sinnfällig gegenüber stellen drei Liedbearbeitungen von Clytus Gottwald. Dominiert in Im Lenz und Umsonst auf Texte von Paul Heise, veröffentlicht 1900, naive Fröhlichkeit, so kündet Und wie mag die Liebe nach Rainer Maria Rilke von dem für den reifen Schreker charakteristischen mystischen Klang- und Weltbild.

Egbert Hiller