Stäbler, Gerhard

]desires[

Verlag/Label: Wergo WER 67152
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/06 , Seite 83

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 4

 

Die Befreiung der Schlagzeuger aus bloß dienender Funktion und das wachsende Interesse von Kompo­nisten der neuen Musik, Werke für Perkussionsinstrumente zu schreiben, gingen Hand in Hand. Auch den Bereich der Kammermusik hat sich das Schlagzeug inzwischen erobert und feste Ensembles wie das Schlagquartett Köln entstehen lassen. Diese Gruppierung, die bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik 1989 ihr Debüt gab, hat seither mit Konzerten und Tonaufnahmen vielfach auf sich aufmerksam gemacht und dabei zahlreiche Kompositionen uraufgeführt, wobei die Spieler in den kreativen Prozess durch die Entwicklung innovativer Spieltechniken und -mittel eingebunden waren.
Auf der vorliegenden CD interpretieren die Mitglieder des Schlagquartett Köln Kompositionen von Gerhard Stäbler, in dessen Schaffen das Schlagzeug seit vielen Jahren einen hohen Stellenwert hat. In Kybele, einer Studie zu Stäblers Musiktheater CassandraComplex nach Christa Wolf, entwickelt sich ein magisches Ritual, bei dem die dunklen Klänge von ko­rea­nischen Trommeln und helle Metallschlaginstrumente in einem Prozess ständiger Temposteigerung zusam­men­finden, bevor dieser entstehende Rausch nach einem Gipfelpunkt zu überraschend leisem Ausklang zurückgeführt wird.
Eine besonders unkonventionelle Arbeit Stäblers ist X für Verschlüsse, eine aleatorisch gesteuerte Performance, deren Struktur sich durch Würfelwurf der beteiligten Spieler ergibt und in der vorliegenden Reali­sation zu einer lockeren Abfolge von meist leisen, nicht immer in ihrer Herkunft zu identifizierenden Alltags­geräuschen führt: «Klettverschlüsse, Reißverschlüsse, Knopf- und Druckknopfverschlüsse, Klebeverschlüsse, Laschen, Schnürsenkel, Schnüre etc.», stellt die Spielanweisung als Klangerzeuger zur Auswahl.
Als Geschwisterwerke wirken ]roses[ und ]desires[, die beide die Sop­ranstimme von Annette Robbert mit Textfragmenten der antiken Dichterin Sappho einbeziehen, aber mit verschie­denem Instrumentarium konfrontieren. Dieses umfängt mit seinen nicht bloß rhythmisch, sondern klangsinnlich eingesetzten Möglichkeiten den Gesang, wobei eine weite Verteilung der Klangquellen zum Konzept gehört.
Das räumlich-theatralische Element spielt auch in Spices (3) eine Rolle und kann in einer CD-Version nur erahnt werden. In der zeitweilig sehr dicht-geräuschhaften Partitur kon­frontiert Stäbler das Live-Spiel der drei Schlagzeuger mit vorproduzierten elektronischen Klängen. Für den zusätzlich vom Komponisten angekündigten «Gestank heilsverheißender Kriegsgebete» sorgen die Schlagzeuger, indem sie, wie in der Partitur zu lesen steht, «Aufrufe des ‹Guten über das Böse› ausstoßen – transformiert in Tierstimmen und sehr laut».

Gerhard Dietel