Zorn, Magdalena

Die MISSA (1984-87) von Dieter Schnebel

Das Experiment einer Versöhnung

Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2012, 128 Seiten, 22 Euro
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/05 , Seite 92

In ihrer Vorbemerkung schreibt die Autorin, die vorliegende Publikation wid­me sich einem der geistlichen Hauptwerke des Theologen und Komponisten; sie fügt hinzu, dieses Unternehmen diene der Einführung in zentrale Aspekte von dessen musikalischem wie theologischem Gehalt. Die vorsichtige Wortwahl von Magdalena Zorn ist verständlich, denn das Forschungsfeld, das sie hier betritt, ist groß, komplex. Es geht ja um nichts Geringeres, als den engen Konnex von Dieter Schnebels theologischem und musikästhetischem Denken zu analysieren, exemplarisch darzustellen an einem Werk, das auch als ein Opus summum gelesen werden kann.
Überdies lässt sich das dialektische Zusammenspiel von Theologie und Komposition bei Schnebel nicht erklären ohne zu beschreiben, inwieweit er mit seiner kompositorischen Arbeit Teil der großen ästhetischen Strömungen nach 1945 war – und dies durchaus radikal im Denken – und wann respektive weshalb er sich aus diesem Strom löste: nicht als Revolutionär, aber als einer, dem Ideologien jedweder Provenienz suspekt werden mussten in ihrer Ausschließlichkeit.
Magdalena Zorn nun geht ihren analytischen Weg an einem sorgsam konstruierten Gedankengeländer entlang, gefügt aus dialektischen Begriffspaaren. Gefunden hat sie diese in Gesprächen mit Schnebel, in seinen Essays und Kommentaren sowie einer umfangreichen Literaturrecherche auf musikanalytischem, theologischem und philosophischem Terrain.
Schon in der Einleitung gibt Zorn dem Leser den entscheidenden Hinweis auf die Art und Weise, wie Schnebel sich als Kunstschaffender und Kunstvermittelnder positioniert – immer mit einem freundlich beobachtenden und zugleich distanzierten Blick, immer seine Freiheit verteidigend, selbst zu bestimmen, wo die Freiheit der anderen endet und die eigene beginnt. Zorn zitiert dafür eingangs eine Aussage Schnebels über John Cage. Hier beschreibt sich Schnebel als Bewunderer des amerikanischen Freigeistes und sich selbst als einen, der fest verwurzelt in der europäischen Tradition die Art Freiheit, wie Cage sie praktizierte, bewunderte, sie aber nie würde teilen können, und dies, obwohl Schnebel, wie danach ausgeführt wird, selbst die musikästhetische Freiheit jenseits des Parameters «Ausdruck» ausgiebig erprobt hat, um dann in seine eigene musikalische Heimat zu finden.
Mit Kapitel 1 – «Momente der Vermittlung in Leben und Werk» mit seinen Unterkapiteln «Heimat und Neuland», «Musik und Theologie», mündend in die Betrachtung «Von der Notwendigkeit des Neuen» – steckt Zorn das Arbeitsgebiet präzise in seinen Umrissen ab. In den Folgekapiteln beleuchtet sie sinnfällig die intensive Beschäftigung Schnebels mit der dialektischen Theologie von Barth, Bultmann und Bonhoeffer, untersucht sie die Entstehung von Schnebels Konzept einer «geistlichen» Musik, sowohl auf theologischer wie auf musikalischer Ebene pluralistisch angelegt, betrachtet sie eingehend das Schnebel’sche Musik-Sprachverständnis in all seinen Facetten, immer zielsicher auf exemplarische Stellen bezogen mit «sprechenden» Notenbeispielen belegt, klar formuliert. Ein Ausbau dieser Arbeit wäre wünschenswert.

Annette Eckerle