de la Motte-Haber, Helga / Lydia Rilling / Julia H. Schröder (Hg.)

Dokumente zur Musik des 20. Jahrhunderts, Teil 1

(= Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Band 14, Teil 1)

Verlag/Label: Laaber, Laaber 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/05 , Seite 84

Mit der im Jahre 2007 erschienenen Chronik der Musik im 20. Jahrhundert hatte, wie im damaligen Vorwort zu lesen steht, das im Laaber Verlag veröffentlichte Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert eigentlich seinen Abschluss gefunden. Doch nun folgt dem Band 13 dieser Reihe noch ein zweiteiliger 14., dessen erste Hälfte soeben erschienen ist. Einer Idee des Verlegers folgend, haben die drei Herausgeberinnen in ihm, gestützt von weiteren Fachautoren, Dokumente zur Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts versammelt, wobei der erfasste Zeitraum großzügig bis in die erste Dekade des 21. geweitet wird.
Jeweils eine Doppelseite (in Ausnahmefällen mehr) steht für die meist auszugsweise wiedergegebenen «Dokumente» in Schrift-, manchmal auch in Bild- oder Notenform zur Verfügung, denen, optisch abgesetzt, jeweils ein namentlich gezeichneter Kommentar folgt, welcher Hintergrundinformationen bietet, für die Einordnung in den zeitgenössischen Diskurs sorgt und den Blick auf musikgeschichtliche Folgen wirft. Nicht ganz glücklich, aber diesem System geschuldet ist es, dass der Leser bei einer gewissen Zahl fremdsprachlich wiedergegebener Belege im Anhang nach den Übersetzungen suchen muss.
Um «Manifeste – Proklamationen – Skandale» und, platzgreifender, «Musik in und um den Konzertsaal» geht es in der inhaltlich breit gestreuten Folge von Materialien, die in den einzelnen Abschnitten jeweils einer ungefähren Chronologie folgend wiedergegeben werden. Dabei steht die in der Tradition bürgerlicher Musikpraxis beheimatete Musik ebenso im Fokus wie die elektroakustische, und das gattungsüberschreitende Experiment, der Jazz und die Popularmusik gleichermaßen wie das Musiktheater und die Filmmusik. Kompositionstechnische Aspekte, musikästhetische Kontroversen, gesellschaftliche Implikationen und politische Aspekte der Kunst kommen hier zur Sprache und bilden oft genug den eigentlichen Kern der mit dem Ziel der Repräsentativität getroffenen Dokumenten-Auswahl.
Gelegentlich scheint umgekehrt ein musikgeschichtliches Thema die Herausgeberinnen zur Suche nach geeigneten Quellen inspiriert zu haben, was nicht immer zu ganz schlüssigen Lösungen geführt hat, wenn etwa das Thema «Emigranten» mit dem Notenmanuskript von Ernst Tochs Fuge aus der Geographie illustriert wird oder «Sprachrhythmus und Alte Mu­sik» durch kombinierte Hinweise auf die «Schola Cantorum», das Wirken der Cembalistin Wanda Landowska und Carl Orffs Monteverdi-Studien.
Der bisher vorliegende Halbband – auf dessen Fortsetzung man gespannt sein kann – ist auf jeden Fall eine willkommene Ergänzung zum bis dato erschienenen Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert. Keineswegs muss das hier versammelte Material sequenziell gelesen werden; nicht der schlechteste Gebrauch der Publikation dürfte es sein, eine zufällig ausgewählte Doppelseite aufzuschlagen. Erkenntnisgewinn wird der Leser stets mitnehmen: in Form von Informationen oder von Fragestellungen, die zum eigenen Weiterdenken anregen.
Gerhard Dietel