Cage, John / Langham Research Centre

Early Electronic and Tape Music

Verlag/Label: LP/CD, Sub Rosa SR361
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 88

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Das älteste Stück der neuen CD-Produktion des belgischen Avantgarde-Labels Sub Rosa ist Imaginary Landscape No. 5 aus dem Jahr 1952. In der Version des Langham Research Centre rekrutiert sich der Sound des Tonbandstücks aus dem Material von 42 beliebigen Fonoaufnahmen, die John Cage mit verschiedenen Stilepochen der Musikgeschichte, mit elektronischen Geräuschen und außermusikalischem Lärm füllte. Diesem Werk waren seit 1939 vier imaginäre Landschaften vorausgegangen, die von Cage scheinbar wahllos mit vorgefundener Musik, Klängen und Geräuschen ausgestattet wurden.
Eine Weltpremiere auf Tonträger erfährt das 1960 entstandene WBAI für Sinuswellenoszillator, Schallplattenspieler, Synthesizer und Radio. Das sieben Minuten dauernde Stück kratzt am Selbstverständnis des Radios, indem es dessen per Hand erzeugte Mutationen aufgreift und mittels elektronischer Aufblähung und Quetschung, Zerstückelung und Aneinanderreihung zu einem Symbol für radiofone Nebenerscheinungen stilisiert. Ebenfalls im Jahr 1960 gestaltete Cage die Cartridge Music «für verstärkte ‹kleine Klänge›», wie der Komponist erläuterte. Die Akteure des Langham Research Center (Felix Carey, Iain Chambers, Philip Tagney und Robert Worby) agierten mit präparierten Objekten und Fonografennadeln aus Stahl und integrierten verschiedene Materialien wie Kabel, Papierklammern und Zahnstocher.
Variations I (1960) hat – wie die anderen sieben von Cage konstruierten Variationen – die Variation selbst zum Thema. Auf der Grundlage von Schallplattenspieler, Kassettenrekorder, Radio und gesprochenem Wort wird das Klangstück über vier durchsichtige Folien mit jeweils fünf enthaltenen Linien gesteuert. Diese Folien liegen willkürlich angeordnet über einer weiteren Folie, deren 27 Punkte einen Einzelklang darstellen. Die Ausführenden sind in ihrer Aktivität frei, müssen sich jedoch am Charakter der Linien und Punkte orientieren. Je nachdem wie weit Punkte und Linien voneinander entfernt sind, gestaltet sich das Klangbild der Variationen.
«Der Gebrauch des Materials ist nicht auf Tonbandmusik limitiert», erklärt Cage sein Stück Fontana Mix aus dem Jahr 1958, das in der Produktion des Langham Research Centre mit Aria (1958; Cathy Berberian gewidmet) verknüpft wur­de. «Es kann völlig frei für Instrumente, Stimme und theatralische Zwe­cke verwendet werden.» Die Partitur versteht sich lediglich als Handlungsanweisung und ist im Grunde frei von Vorgaben. Diese Freiheit nimmt sich das fünfköpfige Ensemble, indem es in scheinbar unkontrollierter Aktion einen Mix aus Cages originalen Monotracks und frei artikulierten Voi­­cings herstellt. Herausragend dabei der Mezzosopran von Catherine Car­ter.
0’00’’ entwickelte Cage 1960 aus seinem bahnbrechenden 4’33’’ . Die Ausführenden sind auch hier frei, die Aktionen des Stücks selbstständig zu bestimmen und umzusetzen: Aktion in Verbindung mit verstärkten Objekten. Neben Stille dominiert das Geräusch, das sich aus Zufällen entwickelt und unvorhersehbar ist. Das Langham Research Center wählte eine Variation, die an Hörspielgeräusche erinnert und den Hintergrund eines Klangraums bildet.

Klaus Hübner