Kysela, Mark Lorenz

Eins+

Musik für einen Instrumentalisten und klangliche Erweiterungen von Christoph Ogiermann, Thomas Stiegler, Martin Schüttler, Michael Maierhof, Alvin Lucier und Uwe Rasch

Verlag/Label: Gruenrekorder Gruen 120
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/05 , Seite 88

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 5


In den sechs Werken der CD verbindet Mark Lorenz Kysela (geboren 1971 in Stuttgart) geräuschhafte Grenzbereiche des Saxofonklangs mit elektronischen Materialien. Umgebungsgeräusche einzubeziehen impliziert dabei auch eine Kritik der Verhältnisse zwischen Komponist und Gesellschaft, Interpret und Publikum.
Allerdings lässt sich der «Vollkontakt» zum Publikum, den Christoph Ogiermann einfordert, in der Aufnahme allenfalls simulieren. Ogiermann löst das Problem, indem er die Hör­perspektive in das Innere des Sopransaxofons verlagert, sodass Atem- und Klappengeräusche aus nächster Nähe erfahrbar werden. Die «Präsenz des Interpreten» artikuliert sich in den einleitenden Schritten des Saxofonisten auf ein imaginäres Podium in hektischen Atemgeräuschen. Diesen Zeichenakkumulationen des Titels stehen Druckblöcke gegenüber, eine Folge obsessiver, in sich bewegter, aber in ihren Umrissen statischer Klangflächen, abrupt unterbrochen von langen Pausen. Am Ende fiepen Sinus- und Saxofontöne um die Wette, bis das Stück leise ausklingt.
Thomas Stiegler rhythmisiert Alltagsgeräusche. Das ergibt einen reizvollen Klangteppich, unterbrochen gelegentlich vom homogen runden Klang einfacher Sinuston-Intervalle. Dem Saxofonisten bleibt dabei kaum mehr übrig, als den elektronischen Zuspielungen versetzt eine zweite Ebene einfacher, gedämpfter Tonfolgen oder Umspielungen des zentralen Tons e hinzuzufügen.
Martin Schüttler beginnt mit einem sehr hohen, von Knackgeräuschen unterbrochenen Zirpen und geht dann, nach einem Sinus-Akkord in Mittellage, zu einer kratzenden Attacke auf die Gehörnerven über, sodass sich die Frage stellt, ob der Titel schöner leben 7 als pure Ironie zu verstehen ist oder sein Wunsch nach selbstbestimmtem Komponieren nicht in letzter Instanz eine Verabschiedung vom Publikum bedeutet. Der fragmentierten Realität der heterogenen instrumentalen und elektronischen Klänge fügt die Stimme des Schriftstellers David Foster Wallace einen ebenso fragmentierten weiteren Kommentar hinzu.
Michael Maierhof arbeitet mit Murmeln in einem Plastikbecher – im Schalltrichter des Altsaxofons ebenso wie maschinell durchgeschüttelt. Dies als «drastische Erweiterung des Materialstands zeitgenössischer Musik» zu bezeichnen, wie dies Michael Rebhahn im Booklet tut, erscheint denn doch als großkalibrige Rhetorik. Wie weit der Gedanke trägt, zeigt sich in der Aufnahme, wo der optische Überraschungseffekt entfällt: Eine gewisse Monotonie des Hörerlebnisses ist schon nach weniger als 13 Minuten zu bemerken.
Noch weiter herunterschalten muss man bei Alvin Luciers In Memoriam Jon Higgins, das über fast zwanzig Minuten hinweg meditativ Schwebungen von Sinus- und Klarinettentönen auskostet. Kurzweilig beginnt dagegen Uwe Rasch, der die «gefrorenen Tränen» aus Schuberts Winterreise mit Eisenstange und Kissen zerhackt, bis der Komponist selbst einen Schuss in den Flügel abfeuert, der dann noch lange 47 Sekunden verhallt.

Dietrich Heißenbüttel