Mense, Lucia

Electronic Counterpoint

Neue Kompositionen für Blockflöte und Live-Elektronik von Marc Sabat, Manfred Stahnke, Sascha Lemke, Ulrich Krieger und Georg Hajdu

Verlag/Label: Satelita, satelita004
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/05 , Seite 80

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Seit ihrer Kindheit hat Lucia Mense die Blockflöte nicht mehr aus den Händen gelegt. Auch weil sie sie gern anfasst. Weil es so schön ist, beim Spielen die Luft an den Fingern zu spüren und das Holz zu fühlen. Die einfache Bauart ermöglicht darüber hinaus einen wendigen Ton und einen flexiblen Klang – zwei Qualitäten, die bereits im ersten Stück, Erbsen von Marc Sabat, unter Beweis gestellt werden: Flink artikuliert Mense komplizierte Melodieketten, die im Laufe der sechsteiligen Komposition variiert werden. Dabei bezieht sich jeder Abschnitt auf den vorhergehenden. Die Instrumentalistin versteht es mit höchster Präzision Ähnlichkeiten und Kontraste zwischen den einzelnen Teilen herauszuarbeiten.
Es ist nicht nur die spielerische, sondern auch die stilistische Wendigkeit der Blockflöte, die Lucia Mense fasziniert. Sie bezeichnet sich als selbst Grenzgängerin. Souverän bewegt sie sich zwischen den Klängen der Alten und der neuen Musik. So interpretiert sie sowohl die Sounds des Mittelalters als auch aktuelle Kompositionen für das Instrument. Alle Stücke auf dieser CD sind extra für Mense geschrieben worden.
Besonders gelungen ist darunter Manfred Stahnkes Einrollung Ausdehnung. Der Titel ist wörtlich zu verstehen. Lucia Mense intoniert einen Ton, der behutsam durch weitere Sounds ergänzt wird, sich ausdehnt. Das Prinzip ist einfach und führt
zu schön klingenden Verflechtungen, akustischen Wucherungen, die nicht im Chaos enden, sondern stets nachvollziehbar bleiben.
Um diese Resultate zu erzielen, arbeitet die Flötistin mit elektronischen Hilfsmitteln, die sie vielfältig einzusetzen versteht. Mal klingt das zierliche Instrument wie eine mächtige Tonmaschine, mal säuselt es fragil und kaum hörbar durch digitale Hallkammern, mal werden Kontaktmikrofone eingesetzt, um bestimmte Abschnitte des Instruments zu verstärken, die Tonlöcher oder das Labium. Die Elektronik erlaubt der Instrumentalistin auch, mit sich selbst zu musizieren, indem sie Klänge aufnimmt und anschließend über Lautsprecher wiedergibt.
Hervorzuheben ist vor diesem Hintergrund Black Smoker, die Arbeit des Saxofonisten Ulrich Krieger. Die Blockflöte wird hier so stark verfremdet, dass sie kaum noch als solche zu erkennen ist. Das Stück ist eine Hommage an die «schwarzen Raucher» – hydrothermale Tiefseequellen, aus denen dunkle Gaswolken entweichen. Die Erhabenheit dieser ozeanischen Unterwasservulkane wird mit mächtigen Drones inszeniert. Mense spielt lang ausgehaltene Liegetöne, verdichtet und entschlackt dabei die musikalische Materie.
Beeindruckend ist, wie die Instrumentalistin die einzelnen Kompositionen verinnerlicht. Sie entwickelt ein nahezu intuitives Verständnis für die Ideen der Komponisten, ohne ihre Identität als Interpretin aufzugeben. Solche Resultate verlangen eine präzise Auffassungsgabe und extreme Konzentration – nicht umsonst wird Lucia Mense nachgesagt, eine Perfektionistin zu sein.
Raphael Smarzoch