Cage, John

Empty Words

Verlag/Label: Edition Wandelweiser Records EWR 1102/3
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 79

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 2

Dass diese Doppel-CD aus dem Hause Wandelweiser im MP3-Format erschienen ist, hat gute Gründe: Zehn Stunden brauchen Cages Empty Words (1973/74), bis sie sich von jeder Inhaltlichkeit befreit haben. Die «transition from lan­guage to music» (Cage) ist ein epischer Reduktionsprozess von Henry Tho­reaus Journal in vier Abteilungen: zuerst werden Sätze eliminiert, dann Phrasen, dann Wörter, schließlich Silben, bis nur noch isolierte Konsonanten und Vokale übrig bleiben. Warum Cages Kunst des Weglassens so lange dauert, hat er selbst erläutert: «It’s bewildering at first, but it’s extremely pleasurable as time goes on. And that’s what I’m up to.» Pro­duzent Antoine Beuger hat den Marathon mit Instrumentalklängen aus dem Wandelweiser-Umfeld unterfüttert. Das macht nicht nur Sinn, weil die Kombination verschiedener Stücke in Simultanaufführungen ein geläufiges Cage-Verfahren ist, sondern hat auch inhaltliche Relevanz.
Also beginnt diese zehnstündige Sinn-Destruktion nicht mit Worten, sondern mit den Naturlauten von Cages Branches (in der 1999 veröffentlichen Realisierung des Ensembles daswirdas), das den ersten beiden Teilen von Empty Words unterlegt ist: ein insektoides Rascheln, Knistern, Klappern und Pochen, das ausschließlich mittels Pflanzenmaterialien wie Baumschoten oder Kakteen produziert wird. Das leuchtet ein, ist Thoreaus monumentales Tagebuch im Rahmen einer transzendentalistischen Wahrnehmung alles Realen doch voller Naturbeobachtung und
-philosophie.
Es mag zunächst inkonsequent erscheinen, dass die weiteren Teile von Empty Words mit anderen Klängen unterlegt sind, doch scheint sich der Reduktionsprozess dadurch auch musikalisch zu spiegeln. Die sinnfreien Silbenspiele von Teil III werden grundiert von Antoine Beugers Ensemblekomposition oborozuki, gespielt vom Wandelweiser Composers Ensemble: sphärische Klangflächen, die noch mehr Konzentration auf die Vokalebene zulassen und die Lautfragmente der Sprecherin schwerelos umwölken, ein Orgelpunkt der Stille. Im letzten Teil
– «nothing but letters and sounds» – sind es die ins Nichts gestreuten Klanginseln von Burkhard Schlothauers Klavierstück ab tasten (gespielt von Jongah Yoon), die die raunenden Sprachsplitter durch scheinbar unendliche Räume tragen, nun ganz im reinen Klang angekommen.
«What was interesting to me was making English less understandable. Because when it’s understandable, well, people control one another, and poetry disappears.» Dass die Poesie hier nicht zu kurz kommt, ist Sylvia Alexandra Schimag mit einem so undramatischen wie musikalischen Vortrag zu verdanken. Die Düsseldorfer Sprecherin zeigt in diesem rhythmisch und melodisch fein austarierten Langstreckenlauf eine bravouröse Kondition und lässt keine Sekunde an Konzentration und Spannung nach. So verhält es sich am Ende in der Tat so, wie Cage selbst es andeutete: Je weiter diese Abstraktion voranschreitet, desto faszinierender wird sie … Dass dies in Anbetracht der Länge vor allem als eine «musique d’ameublement» geschieht, tut der Sache keinen Abbruch.

Dirk Wieschollek