Dierks, Nicolas

Endlose Erneuerung

Moderne Kultur und Ästhetik mit Wittgenstein und Adorno

Verlag/Label: Wilhelm Fink, Paderborn 2015, 396 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 82
Einen anspruchsvollen und in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand detailreichen Band hat Nicolas Dierks hier vorgelegt. Zurückgreifend auf die methodischen Schwerpunkte Kulturtheorie, Sprachphilosophie, Kulturhistiografie, Begriffsgeschichte und Kritische Theorie begibt sich der Autor einerseits auf die philosophiegeschichtlichen Spuren der Rede vom Neuen, beleuchtet aber andererseits auch deren lebenspraktische Verankerung. Um die bisherigen, seiner Ansicht nach unzureichenden, da meist in einfachen dualen Argumentationsmustern verharrenden Erklärungen der gerade für die europäische Moderne so wichtigen Idee des «konstitutiv Neuen» zu hinterfragen – eine Idee, die er als «novologistisches Paradgima» bezeichnet und die vor allem (aber nicht ausschließlich) im Zusammenhang mit der «Neuen Musik» eine Rolle spielt –, befasst sich Dierks ausführlich mit ihrer raumzeitlichen und narrativen Orientierung. 
Dies geschieht in mehreren, logisch aufeinander aufbauenden Kapiteln: Im ersten Teil des Buches untersucht Dierks zunächst anthropologische, kulturelle und sprachliche Grundlagen, die für eine Auseinandersetzung mit dem Topos des Neuen bedeutsam sind. Ausgehend von ei­ner Klärung der zentralen Terminologie – nämlich des Ausdrucks «neu» selbst – bestimmt er den wissenschaftlichen Terminus des Neuen in Abgrenzung zum umgangssprachlichen Gebrauch. Hieran schließt er, an Wittgensteins Sprachphilosophie anknüpfend, eine grundlegende Orientierung für den theoretischen Umgang mit dem Topos des Neuen an und differenziert unterschiedliche Grade von Neuheit, die ihm für den theoretischen Umgang mit dem Neuen geeigneter erscheinen als die schlicht dualistische Entgegensetzung von Alt und Neu. 
Im zweiten Teil des Bandes befasst sich Dierks dann ausführlich mit dem kulturhistorischen Hintergrund des novologistischen Paradigmas, indem er die Entwicklungen vom 18. bis 20. Jahrhundert diskutiert. Im Rahmen mehrerer Kapitel legt er dar, aus welchen Gründen die Kategorie des Neuen mit dem Aufstieg des Geniekonzepts aus der Ästhetik verschwand und warum sie später wieder in den Diskurs zurückkehrte. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen erläutert der Autor schließlich das Neue als «diagnostisches Kraftzentrum einer Philosophie der Moderne» und zeigt dies exemplarisch an der Philosophie Adornos auf. 
Die Hauptziele von Dierks Untersuchung bestehen darin, «durch eine Reflexion des sprachlichen Instrumentariums das Nachdenken über das Neue zu schärfen», sowie «durch historische Rekonstruktion das Verständnis seiner individuellen und kulturellen Bedeutung für uns zu vertiefen» (S. 22). Insofern dürften seine Ausführungen über ihre allgemeine kulturgeschichtliche Bedeutung hinaus vor allem für jene von Interesse sein, die sich mit den ästhetischen Diskursen der Gegenwart befassen. Hierauf bezogen bietet Dierks gerade im ersten Teil seines Buches eine Fülle von Anregungen, die sich produktiv in die argumentativ sehr einseitig geführten aktuellen Diskussionen einbinden lassen.
Stefan Drees