Eimert, Herbert

Epitaph für Aikichi Kuboyama | Sechs Studien

Verlag/Label: WERGO studio reihe, WER 67732
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Der Zeitpunkt des Erscheinens dieser CD ist – auch intuitiv – sehr gut gewählt. Sie enthält zum einen Werke, die vor gut einem halben Jahrhundert entstanden sind und an die zu erinnern sich in jeder Hinsicht lohnt. Und zum anderen ist mit Leopold von Knobelsdorff ein seinerzeit maßgeblich an den Aufnahmen beteiligter Künstler am 13. Februar 2013 gestorben – was bei der Planung des CD-Projekts noch gar nicht berücksichtigt werden konnte: Die Tonaufnahmen wurden 1966 bereits auf einer WERGO-LP veröffentlicht und sind 2012, ohne ihren ursprünglichen Charakter zu verfälschen, mit modernen technischen Verfahren remastert worden.
Leopold von Knobelsdorff war Pianist und gilt als Legende des Boogie- Woogie, den er nach dem Zweiten Weltkrieg durch amerikanische Radiosender kennen und lieben lernte. Aber er hatte eben auch noch eine andere Seite. Im Hauptberuf war er Tontechniker beim Westdeutschen Rundfunk, und dort kam er mit dem Komponisten Herbert Eimert (1897-1972) und elektronischer Musik in Berührung. So war er es, der in Eimerts Epitaph für
Aikichi Kuboyama (1957-62) und Sechs Studien (1962) für die klangliche Realisation sorgte. Das Hauptwerk auf der CD ist das besagte Epitaph für Sprecher und Sprachklänge, das einem japanischen Fischer gewidmet ist, der als Folge eines amerikanischen Atomversuchs mit einer Wasserstoffbombe am 1. März 1954 in der Nähe des Bikini-Atolls durch einen radioaktiven Ascheregen verstrahlt wurde und einige Monate später starb. Als Prolog zur eigentlichen musikalischen Verarbeitung ließ Eimert die von dem Dichter Günther Anders gefühlvoll ins Deutsche übertragene Grabinschrift für Aikichi Kuboyama von Sprecher Richard Münch mit poetischer Insistenz rezitieren – und diese mahnenden Worte haben, zumal angesichts des Atomunglücks im japanischen Fukushima vor zwei Jahren und den jüngsten Drohungen Nordkoreas, Atomwaffen einzusetzen, kaum an Aktualität verloren.
Aber auch die Musik selbst ist keineswegs nur als historisches Dokument von Bedeutung. Herbert Eimert war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Pionier der elektronischen wie der zeitgenössischen Musik überhaupt, die er in seinen legendären Nachtprogrammen im Nordwestdeutschen Rundfunk einer breiteren Hörerschaft vermittelte. Er übte auch großen Einfluss auf Karlheinz Stockhausen aus – darauf zu reduzieren ist er aber nicht. In der äußerst differenzierten Behandlung der Sprachklänge ist sein Epitaph für Aikichi Kuboyama allenfalls mit Stockhausens Gesang der Jünglinge vergleichbar und diesem durchaus ebenbürtig. Eindringlich führte Eimert im Epitaph jenseits von Plakativität vor Ohren, dass die vermeintlich so abstrakte und abgehobene elektronische Musik sehr wohl Verbindungslinien zu zeitgeschichtlichen Phänomenen aufweist: Sie ist die Musik des Atomzeitalters, und dies macht Eimerts Epitaph klar, ohne in Betroffenheitsästhetik zu verfallen. Spannend ist auch die Gegenüberstellung mit den Sechs Studien, die als rein elektronische Musik nicht nur die damaligen technischen Voraussetzungen reflektieren, sondern – gewissermaßen ins Zeitlose entrückt – immer noch und immer wieder das geistige Auge des Hörers intensiv anregen.

Egbert Hiller