Seither, Charlotte

Equal Ways of Difference

Verlag/Label: Wergo WER 73212
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 78

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 5

 

Die beiden Klaviertrios aus den Jahren 1994 und 2011 markieren die äußeren Positionen des Zeitabschnitts, der auf dieser CD anhand von sechs unterschiedlich besetzten Kammermusikwerken abgesteckt wird. Mit ihrem ersten Trio Champlève (1994) schuf die Komponistin eine Musik, deren Wirkung aus dem geschickten Pendeln zwischen unterschiedlichen Dichtezuständen resultiert: Charlotte Seither stellt hier die traditionelle Hierarchie der Besetzung auf den Kopf, indem sie das Klavier seiner steuernden Funktion enthebt und seinen Gebrauch mittels Präparationen im Flügelinneren auf perkussive Interventionen reduziert, während sie zugleich Violine und Violoncello wie ein überdimensioniertes Streichinstrument behandelt.
Vergleicht man die vorliegende Aufnahme mit der früheren Einspielung auf Seithers Porträt-CD des Deutschen Musikrats aus dem Jahr 2001, wird deutlich, mit welch großer Feinheit die Musiker des elole-Klaviertrios die anspruchsvollen Notationsvorgaben der Partitur bis in die feinen Verästelungen hinein umsetzen. Diese Qualität des Ensembles kommt auch den übrigen Kompo­sitionen zugute. Insbesondere das zweite Trio Equal Ways of Difference profitiert von diesem interpretatorischen Zugang, weil die Komponistin den Fokus hier auf teils extrem zarte und leise, im Bereich der Mikrotonalität angesiedelte Aktionen legt.
Nicht nur in diesen Klaviertrios, sondern auch in allen übrigen Werken erweist sich Seither als aufmerksame Beobachterin ihres Materials. Dass sie dessen klangfarbliche Möglichkeiten und Entwicklungen adäquat einzuschätzen weiß, bezeugen gerade die solistischen Werke aufgrund der Beschränkung auf einen Interpreten: Im Klavierstück Gran passo (2006) arbeitet Seither mit der Anregung von Obertönen, die sie, ausgehend von lang nachhallenden Anschlägen und markanter Rhythmik, durch Abgreifen im Flügelinnern aus den Saiten herausholt. Mergin strain (1999) für Violoncello basiert demgegenüber nicht nur auf den unterschiedlichen Möglichkeiten instrumentenspezifischer Virtuosität, sondern bezieht auch Ahnungen der musikalischen Tradition solistischer Violoncellomusik gedanklich mit ein. Die Violinkomposition Cry (2009) wiederum geht von glissandierenden, nah am körperlichen Erleben entfalteten instrumentalen Gesten aus, die sich zu komplexen Ereignisverläufen verdichten und einer ausgefeilten, von Ruhephasen durchbrochenen Dramaturgie unterliegen. Im Streicherduo Playing both ends towards the middle (2000) setzt Seither schließlich auf eine harmonische Führung beider Streicher und fügt beide Parts – teils unter Verwendung klanglicher Extremwerte – zu einen abwechslungsreichen Ereignisverlauf. 
Letzten Endes ist hier eine außerordentlich spannende CD entstanden, die nicht nur durch musikalischen Abwechlsungsreichtum und interpretatorisches Potenzial überzeugt, sondern aufgrund des umfangreichen Booklet-Essays von Ingo Dorfmüller auch einen sehr schönen Einstieg in wichtigen Facetten von Charlotte Seithers Komponieren erlaubt.
Stefan Drees