Mochizuki, Misato

Etheric Blueprint

Verlag/Label: NEOS 11403
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/06 , Seite 90

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Die Idee des «ätherischen Abdrucks», die Repräsentation der abstrakten Idee vom «Himmelslicht» durch den Klang der japanischen Mundorgel Shô, bildet den Ausgangspunkt für Misato Mochizukis instrumentale Etheric Blueprint Trilogy (2002–06). Dementsprechend beginnt die CD mit zwei traditionellen Stücken aus dem Shô-Repertoire, anonymen Kompositionen aus dem 10. Jahrhundert, die jede für sich als ideales Abbild von Ausgewogenheit und Ganzheitlichkeit fungieren und Modelle dafür bereitstellen, was die Komponistin mit ihrer eigenen Arbeit anstrebt. Lässt man die bisweilen etwas krausen, im Booklet abgedruckten Werkkommentare Mochizukis einmal außer Acht, kann man das für neunköpfiges Ensemble konzipierte Triptychon vielleicht am ehesten als ausgedehnte musikalische Reflexion über die Bedingungen und Möglichkeiten von Wahrnehmung unterschiedlicher Raum- und Zeitkomponenten beschreiben. Vermittelt über gelegentlich sehr suggestiv wirkende Ebenen aus konkreten Klängen ergeben sich dabei auch gedankliche Verbindungen zu bestimmten außermusikalischen Phänomenen, wodurch der Musik ein gewisses assoziatives Potenzial zuwächst.
Indem die Produktion die schwebenden, gläsernen Klänge des Ensemblestücks 4D (2003) unmittel­bar aus Mayumi Miyatas Wiedergabe der beiden Shô-Stücke heraustreten lässt, öffnet sie, erkennbar am allmählichen Abrücken von der schlackenlosen Shô-Klangfarbe, einen von historischen wie musikalischen Dif­ferenzen markierten Raum. Dieser kreist zunächst um pulsierende Wirbel oder Flächen, die aus unterschiedlichen Klangqualitäten zusammengefügt sind; dass später noch die glissandierenden Stimmen der Mitwirkenden verwendet werden, fügt sich nahtlos in den prägnanten Einsatz von Wasserinstrumenten, der in Wise Water (2002) als Ausgangspunkt zur Schaffung eines vielschichtigen, ständig sich verändernden Klang­gewebes dient. Im abschließenden Etheric Blueprint (2005–06) verwandelt Mochizuki dann unter Zuhilfenahme live-elektronischer Klangumwandlung unterschiedliche rhythmische Impulse aus den beiden vorangegangenen Stücken in energetische Momente und lässt die Musik am Ende leise verebben.
In ihrer Gesamtheit stellt sich die Etheric Blueprint Trilogy – dadurch in gewissem Sinn an Gérard Griseys Les Espaces Acoustiques erinnernd – als konsequent realisierte Abfolge unterbrechungslos einander folgender und aufeinander aufbauender Verdichtungs- und Entspannungsphasen dar. Dies ist nicht nur kompositorisch überzeugend gelöst, sondern gelingt auch auf interpretatorischer Ebene, weil das hervorragend disponierte mdi ensemble unter Leitung von Yoichi Sugiyama den verästelten Klängen bis in feinste Farb- und Dynamiknuancen hinein die Gestalt von Atembögen verleiht. Besonders gelungen ist die Realisierung dort, wo sich das differenzierte Ergebnis in einen mehrschichtigen Wahrnehmungsraum aufzuspalten beginnt, dessen einzelne Komponenten sich unterschiedlich zu bewegen scheinen und dadurch eine geradezu plastische Raumwirkung erzeugen.

Stefan Drees