Dubuffet, Jean

Expériences Musicales (II)

Verlag/Label: Rumpsti Pumsti (Musik) Edition 13
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 90

Musikalische Wertung: 2
Technische Wertung: 1
Booklet: 4

«In my music I wanted to place myself in a position of a man of fifty thousand years ago, a man who ignores everything about western music and invents a music for himself, without any reference, without any discipline, without anything that would prevent him to express himself freely and for his own good pleasure.» Diese leidenschaftliche Absage an die abendländische Musiktradition und das damit verbundene Bekenntnis zur Improvisation stammt nicht etwa von Giacinto Scelsi oder einem anderen Neuerer der neuen Musik aus betont anti-akademischer Perspektive. Es war nicht mal ein Musiker, der dies sagte, auch wenn der Erfinder der «Art Brut» in jungen Jahren Klavier spielte und in späteren dem Jazz zugetan war. Dass Jean Dubuffet sich jedoch mit der Leidenschaft des Dilettanten musikalischen Experimenten hingab, ist kaum bekannt.
1961 hatte der Maler zwanzig «Stücke» einer improvisierten Tonband­musik auf sechs 10’’-Platten herausgebracht, in einer Auflage von sechzig Stück. Nachdem 1991 ein erster Teil dieser Aufnahmen auf CD veröffentlicht wurde, hat die Foundation Dubuffet nun die restlichen elf Stücke nachgelegt und damit Dubuffets akustisches Vermächtnis komplettiert. Den Herausgebern war verständlicherweise daran gelegen, das Klangergebnis im Sinne der authentischen Atmosphäre der «Sessions» nicht zu glätten. Eine unterirdische Qualität ist die Folge, die aber durchaus im Sinne des Erfinders gewesen wäre. Der hatte stets betont, an der Qualität klingender Oberfläche nicht im Geringsten interessiert zu sein, und betrachtete seine Musik ohnehin als Teil einer undomestizierten Indifferenz akustischer Alltagswahrnehmung.
Was aber hat Dubuffet eingespielt? Nun, das, was da in Dubuffets Pariser Wohnung – zunächst mit Malerfreund Asger Jorn, dann als Ein-Mann-Orchester im Mehrspurverfahren – geradebrecht wurde, ist wilder und ungeschliffener als manches von Dubuffets Bildern, aber nicht wirklich eine Sternstunde experimentellen Musizierens. Die Ansicht des türkischen Komponisten Ilhan Mimarog?lu, der Dubuffets «Klangkunst» Ende der 1960er Jahre der Vergessenheit entriss, dass diese Musik die «originellste und revolutionärste seit Varèse» sei, mutet aus heutiger Sicht ein wenig surreal an, auch wenn elektronisch manipulierte Stücke wie Bateau coulé durchaus Charme entfalten. Angesichts der Vielfalt seines Instrumentariums aus alten und neuen, traditionellen und exotischen Instrumenten ist es letztlich enttäuschend, wie wenig Raum Dubuffet den Physiognomien seiner Klänge gewährt und in den meisten Fällen ein übersteuertes Klanggestrüpp produziert. Formlosigkeit ist hier zwar anarchisches Programm, bewegt sich dann aber doch zu oft am Rande kindischer Hyperaktivität oder sucht ihr Heil in rhythmischen Ostinati. Im Gegensatz zu Mimarog?lu schätzte Dubuffet seine eigenen Fähigkeiten recht realistisch ein: «I am, how­ever, well aware of the gap between my intentions and the actual results.» Für sein späteres Bühnenspektakel Cocou Bazar hatte er sie 1978 im labyrinthischen Zusammenspiel von Bild, Skulptur, Bewegung und Klang mit überzeugenderer Wirkung reaktiviert.

Dirk Wieschollek