Pauly, Gerhard
Farben und Klänge
Begegnungen mit Kunstwerken des 20. Jahrhunderts. Musik und Malerei im Vergleich
«Les parfums, les couleurs et les sons se répondent», sang Baudelaire 1857 in seinem Sonett Correspondances. Robert Schumann glaubte schon 1833: «Die Ästhetik der einen Kunst ist die der andern; nur das Material ist verschieden.» Obwohl das Material je eigene Forderungen stellt, versuchten Künstler seit Jahrhunderten die Künste zu verschwistern. Im 20. Jahrhundert verfließen ihre Grenzen vollends. Während Henri Matisse Jazz-Rhythmen ausstanzte und Piet Mondrian Boogie-Woogie und Foxtrott in geometrische Farbmuster übersetzte, suchte der Bach-Spieler Paul Klee der Malerei die ersehnte Dimension der Zeit zu erschließen. Siehe sein Aquarell Polyphon gefasstes Weiß.
Hinweise auf derlei Themenhintergründe wie überhaupt auf die verwickelte Beziehungsgeschichte von Musik, Malerei und Plastik vermisst man in dem einleitenden Aufsatz, den der Musik- und Kunstpädagoge Gerhard Pauly seinem anregenden, mit farbigen Bildwiedergaben trefflich ausgestatteten Band voranstellt. Ein Buch, das den ministeriellen Vorgaben «ästhetischer Erziehung» entgegenkommt, indem es in je 18 Werkanalysen und Bildbetrachtungen musikalische und malerische Korrespondenzen zwischen zeitnah entstandenen «Meisterwerken» des 20. Jahrhunderts herausarbeitet.
Manche Äußerungen Paulys sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Wenn es z. B. auf Seite 12 heißt: «Bereits seit den sechziger Jahren kam es zu Überschneidungen zwischen den Künsten», und dann von Computer und Videotechnik die Rede ist, die neue Kunstformen ermöglichten, so wäre daran zu erinnern, dass Alexander Skrjabin schon 1911 für seine Tondichtung Prometheus ein Farbenklavier verlangte.
Unterschiedlich überzeugend auch Paulys Stilvergleiche. Der «Einklang mit der Natur» in Monets Frau mit Sonnenschirm und Debussys Prélude à laprès-midi dun faune wirkt sinnfälliger als die «Beschwörung des Geistigen» in Kandinskys Unbenannter Improvisation IV und Schönbergs Orchesterstücken op. 16 (dessen Monodram Erwartung scheint mir Kandinskys Farbklang-Psychologie näher stehend). Und lassen sich Pendereckis Geräuschkomposition Anaklasis und Emilio Vedovas Leinwand Zusammenprall gegensätzlicher Situationen wirklich unter dem Sammelbegriff «Aleatorik» abheften? Unscharf auch das Kennwort «Alltagsspiegelung», das Pauly zum tertium comparationis zwischen Pop-Music und Pop-Art, dem Beatles-Song Yesterday und Roy Lichtensteins Comicstrip Der Klang der Musik erhebt. Strawinskys Le sacre du printemps, den er Emil Noldes Kerzentänzerinnen gegenüberstellt, ließe sich angesichts der Schablonentechnik im Sacre ebenso gut mit Picassos Klebebild Flasche, Glas und Geige vergleichen (beide 1913).
Lutz Lesle