Feldman, Morton

Feldman Edition 10 – Trio

Verlag/Label: mode 216
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Schwer zu entscheiden, für wen die Strapaze größer ist: für die Spieler oder für die Hörer. Der Komponist Morton Feldman nahm keine Rücksicht und forderte von beiden ein Maximum an Konzentration, als er ab 1980 im Bereich der Kammermusik die Errichtung musikalischer Strukturen von immenser Dauer erprobte. Das auf circa neunzig Minuten Dauer angelegte Streichtrio steht am Beginn dieser Entwicklung, die im zweiten Streichquartett kulminierte, welches eine Ausdehnung von bis zu fünfeinhalb Stunden erreicht.
Im CD-Format lässt sich das nicht ohne Schnitt unterbringen, zumal die vorliegende Interpretation des Trios ein betont gemessenes Zeitmaß wählt‚ so dass sich die Gesamtspieldauer auf eindreiviertel Stunden erhöht. Als Gesamtverlauf will die Komposition eigentlich gehört werden, doch bietet die vorliegende Doppel-CD dennoch den Service zahlreicher Einzel-Tracks, so dass der mit einer Partitur versehene Musikfreund sich in analytische Details vertiefen kann.
«Es gibt zwei Arten von langen Stücken, die mich nerven: das epische – das geschwollene, bombastische Stück – und das lange minimalistische Stück», so äußerte der Komponist einmal. Diese Abneigungen führen bei seinen eigenen «langen Stücken» zum Verzicht auf den narrativen Zusammenhang, auf die rhetorische Geste, aber auch auf die formbildende Kraft von Reprisen. Themen, ihre Entwicklung und Wiederkehr gibt es in Feldmans Musik nicht mehr. Die einzelnen Klanggesten treten in der in langsamem Grundpuls vorwärtsschreitenden Realisation der Partitur durch die drei Feldman-Experten Marc Sabat (Violine), Rohan de Saram (Cello) und Aki Takahashi (Klavier) aus der Stille hervor und verschwinden wieder in ihr. Indem sie einander nachhören, set­zen Streicher und Pianist ihre isolierten Tonpunkte in die verklingenden Resonanzen der Spielpartner.
Dabei scheint die Musik von Feldmans Trio einer eher visuellen als primär klanglichen Ästhetik zu folgen. Fast möchte man von Textilkunst spre­chen, von einem Tongeflecht, dessen Fäden sich vor dem Ohr des Hörers entspinnen und allmählich zum Gewebe verdichten. Man weiß, dass sich Feldman in der Tat bei seinem Weg, große Zeitspannen musikalisch zu gestalten, von der kunstvollen Knüpf­arbeit türkischer Teppiche inspirieren ließ. Deren vielfältige Muster mit nur annähernden Korrespondenzen fanden ihren Niederschlag im Konzept der «crippled symmetry». Der Hörer, der sich auf Feldmans Trio als eine «Schule des Hörens» einlässt, kann sich anhand der vorliegenden Einspielung auf die Spur dieser immer nur näherungsweisen Wiederholungen machen, den Webmustern und ihren minimalen Differenzen in ihrer mehrfachen Realisation nachspüren.

Gerhard Dietel