Lucier, Alvin

Fideliotrio / Music For Piano With Magnetic Strings / Silver Streetcar For The Orchestra / Violynn / Opera With Objects

Verlag/Label: zeitkratzer records, zkr 0011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Ihn einen Komponisten im klassischen Sinne zu nennen, erscheint angesichts der unkonventionellen Sound­arbeit des Alvin Lucier ziemlich abwegig. Konsequent geht er den Erfordernissen einer stringenten Notenarbeit aus dem Weg und beschränkt sich stattdessen oft auf als Text konzipierte Spielanweisungen. Lucier beschäftigt sich als grundlagenforschender, minimalistischer Experimentator des Klangs in Installationen, «Kompositionen» und Performance mit den Möglichkeiten und der Wirkungsweise akustischer Klänge.
Jetzt beschäftigt sich die aktuelle Publikation des elfköpfigen, 1997 von Reinhold Friedl gegründeten Ensembles «zeitkratzer» mit dem 1931 geborenen Lucier. Die CD erscheint in der «zeitkratzer»-Reihe «Old School», die sich herausragenden Vertretern der neuen Musik widmet (bisher: John Cage, James Tenney). Im Oktober 2009 (Philharmonie Luxembourg) und im Juni 2010 (GreenHouseStudios Schwie­lowsee) nahm das Ensemble fünf Stücke Luciers für die dritte Ausgabe der Serie auf: Fideliotrio (1987), Music For Piano With Magnetic Strings (1995), Silver Streetcar For The Orchestra (1988), Violynn (2001) und Opera With Objects (1997).
Von der neuen Musik ausgehend erschafft «zeitkratzer» eine neue Musik – das Ensemble nimmt sich die Zeit, aus dem vorgegebenen Material eine Szenerie des Wie-erstmals-gehört zu gestalten, in dem es dem Klang ebenso viel Aufmerksamkeit widmet wie der notierten Vorlage. Lucier reißt physikalische Gesetzmäßigkeiten aus dem Zusammenhang. Wo Nebengeräusche unvermeidbar sind, akzeptiert er sie wie etwa in dem Stück Music For Piano With Magnetic Strings. Ein monoton fließender Ton – erzeugt von mindestens fünf Geigenbögen auf den ungedämpften Saiten eines Flügels – erweitert sich zum hochfrequenten Klangrezept durch intensives Verändern von Tonhöhe und Lautstärke: Das ereignislose Vorbeigleiten des Grundtons erwartet vom Hörer höchste Aufmerk­samkeit. Die Klaviersaiten vibrieren durch den Druck der Geigenbögen, die den erzeugten Ton auf die Saiten zurückgeben.
Von Lucier existieren nur wenige Musikstücke in klassischer Kompositionsform. Oft hat er nur schriftliche Spielanweisungen in Textform herausgegeben, in denen er penibel vorgeschrieben hat, wie die Stücke auszu­füh­ren sind. Opera With Objects nutzt Alltagsobjekte wie Streichholzschachteln oder Plastikbecher und untersucht sie mittels zweier Bleistifte auf ihre Resonanzmöglichkeiten. Dabei hält sich jeder Spieler konsequent an das ihm vorgegebene Klopftempo, ohne es den anderen Spielern anzugleichen. Ähnliches gilt für Silver Streetcar For The Orchestra, in dem eine Solotriangel einem stringenten Rhythmus folgt, dessen Lautstärke, Tempo usw. Schritt für Schritt geändert werden. Dagegen zeigt sich Violynn als herkömmliche Komposition, in dem sich der Sologeiger mit einem Zuspieltonband auseinandersetzt. Ein Wechselspiel aus künstlich und natürlich erzeugten Klängen vermischt zunehmend die Originalklangquellen.

Klaus Hübner