Willem Breuker Kollektief

Fidget

Verlag/Label: BVHAAST CD 0407
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/05 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

 

Das Kollektiv als Vereinigung Gleichgesinnter ist für den niederländischen Komponisten und Musiker Willem Breuker seit 1974 die Heimstatt seiner Ideen. In der Standardbesetzung besteht das Willem Breuker Kollektief aus zehn Musikern, die im Bedarfsfall von weiteren Instrumentalisten unterstützt werden. Wie das bei der neuen CD Fidget der Fall ist.
Prägendes Zeichen des Kollektiefs ist die unproblematische Kombination des Jazz mit allerlei ernster und leichter Musik. Präzise und gleich­zeitig von lockerer Hand geführt, verwebte Willem Breuker ekstatische Freejazz-Inhalte mit feinsten, manchmal an Tanzmusik heranreichenden Arrangements, die höchsten Ansprüchen genügen. Diese stringente musikalische Ausrichtung erlaubt es dem Orchester, ein Stück wie «Meditation» aus der Oper Thaïs von Jules Massenet (Violine: Vera Beths) zu spielen und in entrückter Ruhe zu interpretieren. Hier klingen die Bläser sehr diszipliniert, die Rhythmussektion scheint dauerhaft gebändigt.
Was aber keinen Bestand hat. Das zeigt sich schon im intelligent gewählten CD-Titel Fidget (gleichzeitig ein Breuker-eigenes Stück für Solovioline): Das zappelphilippige Hin und Her beherrscht Tempo, Lautstärke und, vor allem, diverse musikalische Stile. Dazu zählt Minor Double Blues von Alexander von Schlippenbach, dem Kollektief wie ein Maßanzug auf den Leib geschneidert. Ganz nebenbei holt Willem Breuker einen völlig in Vergessenheit geratenen britischen Komponisten wie Reginald Foresythe ins konzertante Rampenlicht zurück. Essen Lullaby glänzt, wunderbar originell eingerichtet, im Grenzbereich von Jazz und Ballroom-Entertainment.
Aus der Feder des niederländischen Dichters, Notars und Bürgermeisters von Veere, Adriaen Valerius (1575-1625), stammt das Lied O Nederland, let op uw zaak (Holland, nimm dich in Acht), aus dem Willem Breuker ein rastloses, didaktisch durchdachtes Orchesterstück in steigender Dynamik formte. Den Text aus dem mit vaterländischen Liedern gefüllten Valerius-Hauptwerk Nederlandtsche Gedenck-Clanck singt der Koor Nieuwe Muziek, geleitet von René Nieuwint. Breuker komponierte darum herum ein Chorwerk, dass sich in der Tendenz an höfisches Fanfarengeläut und an Brecht’sche Theater­stücke mit Musik anlehnt.
In einer zweisprachigen (englisch und deutsch) Version bearbeitete Breuker das Gedicht Über den Selbstmord aus Brechts Der gute Mensch von Sezuan, dem er als Einleitung sein The Ploughman/Der Pflüger voranstellte. Breuker selbst singt den kurzen Text in englischer und deutscher Sprache. Die deutsche Version befindet sich am Ende der CD, wo sie im Sinne des Brecht’schen Lehrtheaters als Parabel gegen die Ausbeutung des Menschen einen wehrhaft geprägten Schlussakkord setzt. Brecht/Eisler und Valerius stecken in konsequenter Umsetzung die Eckpunkte der Musik des Willem Breuker ab: Es ist die Parteinahme für eine Musik, die sich ihrer Funktionen bewusst ist und die vor der Verantwortung nicht davonläuft.

Klaus Hübner