Polwechsel & John Tilbury

Field

Verlag/Label: hatOLOGY 672
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/03 , Seite 83

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 3
Gesamtwertung: 5

Ort – ersetzter Ort – (stell)vertretender Ort: auf dem Feld von Improvisation und radikaler Reduktion wachsen radikale Ideen. Im Wildwuchs der neuen Musik und nach langjähriger Entwicklung zerstört «Polwechsel» den Rest einer stillschweigend vereinbarten Klangsprache und verlässt den Minimalismus zugunsten eines Mindestmaßes an Klangstruktur. Bekannte Traditionalismen der neuen Musik werden wieder benutzt, expressive Notationen scheinen nicht länger verbannt zu sein. Geräuschsimulationen und Patchwork-Geräuschfamilien neh­men in der Komposition Place, Replace, Represent von Michael Moser den größten Raum und die höchste Aufmerksamkeit in Anspruch. Raum und Interesse – wie verbinden sich die Pole, wie schließt sich die Kluft? Moser löst die herkömmliche musikalische Struktur für eine andere aus Geräuschfetzen, Klangpassagen und mikrotonalen Klangschnipseln auf. Bei Werner Dafeldeckers Field öffnet die Memoryfunktion des menschlichen Gehirns Gedanken an ein Geräusche-Feld, auf dem jeder Solist wie das gesamte Ensemble die Kontraste zwischen Lärm und zerstörtem Wohlklang aufhebt und im großen Gestus der Wiedervereinigung zuführt. Ein Pol-Wechsel, der sowohl Einzeltöne wie komplexe Soundcluster zerschmettert und jedwede Ähnlichkeit mit Musik vernebelt. Strenge, Kühle, Formalismus – «Polwechsel» kappt die Verbindungen zu einem hierarchisch strukturierten Klangereignis und ersetzt Chromatik durch parallele und serielle Parameter. Klangveränderung auf der Fläche, in einem Spiegel aus Rekapitulation und Erneuerung.

Klaus Hübner