Pfister, Leila

First Performance III

Verlag/Label: bonitz music network bnm20144
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/02 , Seite 80

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Eine Frau steht auf dem Balkon und beobachtet das Geschehen auf einem Platz an einem See in städtischer Umgebung; sie fängt mit ihren Blicken die unterschiedlichen Facetten der Szenerie ein, kommentiert sie, macht sich mitunter Notizen und lässt dabei ein Bild der Ereignisse in unserem Kopf entstehen. So ließe sich stark verkürzt der Inhalt von Alfred Zimmerlins Kammeroper Mehr als elf (2013/14) umreißen: «Commedia» nennt der Komponist sein in die Abschnitte «Morgen», «Mittag» und «Abend» geteiltes Stück für Solostimme und verweist damit auf den Horizont, der hier textlich wie musikalisch abgesteckt wird.
Zsuzsanna Gahses kluges Libretto steckt voller Anspielungen, greift in raffinierten Sprachbildern auf den Fundus des kulturellen Gedächtnisses zurück und treibt diese Bezüge mit feinsinnigem schwarzen Humor auf die Spitze; Zimmerlin wiederum begegnet dem mehrdeutigen semantischen Gerüst mit einer großen Palette vokaler Klangformungen – basierend auf Stimmtechniken in den Übergangsbereichen von Sprechen, Psalmodieren und Singen –, aber auch mit Zitaten und konkreten Bezügen auf die Operngeschichte. Konsequent führt er hier die Ansätze aus seinen früheren Kammeropern Euridice singt (2001/03–05) und Ana Andromeda (2011/12) weiter, indem er nun allein auf die Protagonistin fokussiert und das gesamte Geschehen ins Innere der Figur und in den kompositorischen Umgang mit der Sprache verlegt, dabei zugleich die vorgefundenen Modelle von Theater und Operntradition spielerisch transformierend.
Mit ebenso kraftvoller wie suggestiver Stimme stellt sich die Mezzo­sopranistin Leila Pfister in dieser Live-Aufzeichnung der Uraufführung den hohen Anforderungen der Partitur, setzt gleichsam ungeschützt und lediglich an einzelnen Stellen durch technische Verdopplung mit ihrer eigenen Stimme dialogisierend den Tageslauf musikalisch in Szene. Das ist schon beim bloßen Hören faszinierend, wenn man den Wendungen von Text und vokaler Performance 75 Minuten lang folgt; es gewinnt jedoch noch einmal an zusätzlicher Kraft, wenn man sich die im BluRay-Format beigelegte Videofassung anschaut, denn diese ist dem CD-Mitschnitt eindeutig überlegen und bringt die ganze Theatralität des Werks zur Geltung: Hier treten nicht nur interpretatorische Schichten hervor, die sich hörend nicht erschließen lassen – Pfisters Gestik und Mimik, ihre phänomenale Präsenz sowie all jene Blicke und Erstarrungen, mit de­nen sie die längeren oder kürzeren Pausen gestaltet –, sondern hier kommt als weiteres Element die überlegte visuelle Umsetzung mit ihren vielfachen Brechungen, Veränderungen der Bildperspektive,  Überlagerungen von Farb- und Schwarzweißbildern oder von Ansichten mit unterschiedlichen Schärfegraden hinzu. Insofern ist die Lösung des Labels, dem Käufer beide Versionen zur Verfügung zu stellen, ein wirklicher Glücksfall – zumal als Bonus noch ein aufschlussreiches Gespräch zwischen Manfred Osten und dem Komponisten über die Konzeption des Musiktheaters enthalten ist.
Stefan Drees