Widmann, Jörg / Robert Schumann

Fleurs du mal

Toccata für Klavier; Fleurs du mal, Klaviersonate nach Baudelaire / Nachtstücke op. 23; Gesänge der Frühe op. 133

Verlag/Label: Wergo WER 68082
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 86

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 3
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4

Jörg Widmann hat die Bezugnahme auf Komponisten des 19. Jahrhunderts zu einem stilistischen und programmatischen Merkmal seines Komponierens erhoben. Für seine Solo-Klavierwerke spielt dabei Robert Schumann eine große Rolle. Der Pianist Fabio Romano verbindet in seinem jüngsten CD-Recital Fleurs du mal Werke beider Komponisten.
In der Reihenfolge hat Romano die Toccata, die Nachtstücke, Widmanns Klaviersonate Fleurs du mal und schließlich die Gesänge der Frühe eingespielt. Er begründet diese Abfolge im Beiheft zur CD: Im Zentrum stehen Werke, die durch ihren literarischen Bezug – Baudelaire bzw. E.T.A. Hoffmann – miteinander verwandt seien. Romano erkennt sogar Bezüge zwischen den Textvorlagen, es scheine ihm so, als komponierte «Baudelaire […] Variationen über das Thema der Nachtstücke von E.T.A. Hoffmann». Schumanns Gesänge der Frühe sind dessen letzte Komposition für Klavier solo. Sie werfen einen «verzerrten Blick […] in eine aufregende Zukunft» und bildeten daher den einzig kon­sequenten Schluss nach den nacht­abgründigen Werken Widmanns und Schumanns. Die eröffnende Toccata schließlich sei gut dazu geeignet, «hier das Tor zu den Dramen der weiteren Werke» zu eröffnen. Diese Bemerkungen zeigen, wie sorgfältig und analytisch der Pianist vorgeht. Romano zählt seit einigen Jahren zu den versierten Interpreten der Klaviermusik Widmanns und kommt daher an der intensiven Beschäftigung mit dessen Werken und ihren Bezugspunkten in der Musikgeschichte nicht vorbei. Dieses ebenso seriöse wie souveräne Herangehen zahlt sich aus, denn Romanos Klavierspiel lässt exakte Beschäftigung mit dem kompositorischen Material bemerkenswert erfahrbar werden.
Mit spannungsgeladenen, abrupt endenden Akkorden und Handschlägen auf das Klavier beginnt die Toccata, ein Stück von fragmentarischem, zerklüftetem Charakter, geheimnisvoll changierend zwischen laut und leise. So spielt Romano diese Komposition einerseits ganz ‹modern› im Stil eines Stücks aus dem 21. Jahrhundert, andererseits immer auch mit einem wachen Ohr für die Passagen, die dazwischen wie eine ganz zeitlose Musiksprache klingen. Eine Sequenz von Schlägen auf das Klavier beendet die Toccata, womit noch einmal die Atmosphäre von Nervosität und Zerrissenheit bestärkt wird. Hier knüpft Romano am Beginn der Nachtstücke unmittelbar an, erzeugt durch Anschlag und Farbe ebensolche Klangfarben.
Durchgehend nachvollziehbar ist Romanos Bestreben, vor allem die Verbindungen der Komponisten Schumann und Widmann zu zeigen, diesen feinsinnig nachzuspüren – und damit zugleich die selbstverständlich gravierenden Unterschiede zwischen beiden Komponisten hörbar werden zu lassen. Gerade dafür ist die Kombination der Nachtstücke und der Fleurs du mal besonders geeignet. Widmann schlägt mit seinem Stück allein durch die Wahl der äußeren Form eine Brücke zur kompositorischen Tradition, indem er eine klassische dreisätzige Sonate schreibt. In massivem Kontrast dazu steht die Binnenstruktur der Sätze. Das Spiel mit Formen und Traditionen zeichnet schließlich auch Schumanns Gesänge der Frühe aus. Fabio Romano zeigt sich als kongenialer Interpret dieses Nebeneinanders von Kontrast und Verbindung.

Christian Schütte