Hosokawa, Toshio

Flute Music

Verlag/Label: Naxos 8.572479
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Um es gleich vorweg zu sagen: Diese hinsichtlich (Anordnung der) Werkauswahl, Interpretation und Aufnahmequalität herausragende Naxos-Produktion setzt neue Maßstäbe in der Hosokawa-Diskografie. Für den 1955 in Hiroshima geborenen und abwechselnd in Japan und Deutschland lebenden Komponisten ist die Flöte seinen eigenen Worten zufolge das Instrument, welches seine musikalischen Ideen am tiefsten realisieren kann.
Es ist ein erklärtes Anliegen Hosokawas, die westliche Musik (und ihre Theorie) sowie die traditionelle japanische Musikkultur – in der die Flöte bzw. die verschiedenen Flöten wie Ryuteki, Gagaku und Noh eine zentrale Rolle spielen – in einen Dialog, ein wechselseitiges Spannungsverhältnis zu bringen. Was auf der CD nicht ohne Witz als Schlussstück und kleine Zugabe präsentiert wird – die von Hosokawa für Altflöte arrangierten traditionellen japanischen Volkslieder Kuroda-bushi –, steht also gleichsam am Anfang und kann somit als Ausgangspunkt für die Kompositionsarbeit des Japaners gesehen werden. In diesem Stück sieht Hosokawa das verwirklicht, was er die «kalligraphische Form der Melodie» nennt. In der japanischen Tradition (etwa des Zen-Buddhismus) besteht der Wert der Kalligrafie nicht so sehr im gemalten Objekt, sondern vielmehr im leeren, weißen Hintergrund des Bildes, der mittels des Gemalten evoziert wird. Auf die Musik übertragen und mit Hosokawas eigenen Worten gesprochen: «Musik ist der Ort, an dem sich Töne und Schweigen begegnen.»
Ein zentraler Berührungspunkt zwischen diesen beiden fundamentalen Modalitäten liegt im Hinblick auf die Flöte im Grenzbereich zwischen dem «reinen» Ton und dem «unreinen» (und deshalb in der westlichen Musiktradition bis ins 19. Jahrhundert untersagten) Atemgeräusch des Flötisten. In der Musik von Hosokawa spielen diese Atemgeräusche jedoch eine wichtige Rolle, da sie, wie er sagt, die Lebenskraft des Klangs übertragen. Die (ohne Kuroda-bushi gerechneten) fünf Stücke der CD differenzieren diese Spannung zwischen Klang und Stille, Objekt und Leere auf je unterschiedliche Weise aus, am sinnfälligsten in den beiden ersten Werken Vertical Song I und Sen I für Solo-Flöte. Das Lied für Flöte und Klavier ist ein deutsch-japanisches «Lied ohne Worte», das aus dem spannungsreichen Dialog der beiden Instrumente seine Kraft bezieht. Fragment II für Altflöte und Streichquartett verbindet eine zent­rale westliche Kammermusik-Gattung mit der Kalligrafie der Flöte, die um die zentrale Note fis kreist.
Das mit gut 17 Minuten Spieldauer längste und auch faszinierendste Stück der CD, das Flötenkonzert Voyage V aus dem Jahr 2001, beglückt schon allein durch seine ungemein betörende Instrumentierung und seine immanente Dramaturgie. Die Flöte (= das handelnde Subjekt) durchläuft in diesem Werk gleichsam einen Lebensweg und wird dabei vom Ensemble (= der passive Hintergrund) begleitet. Das Konzert schildert für Hosokawa die stetigen Versuche des Lebenswanderers, sich mit der umgebenden Natur und dem Universum in Harmonie zu setzen.
Hosokawas Musik zieht in den Bann, vor allem, wenn sie so gespielt wird wie auf dieser ausgezeichneten CD.

Burkhard Schäfer