Gordon Kampe

Gassenhauer

Verlag/Label: Wergo «Edition Zeitgenössische Musik» des Deutschen Musikrats, WER 65812
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 91

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Gassenhauer – schon der Titel der CD und erst recht die darauf versammelten Stücke zeigen an, dass Gordon Kampe gerade nicht der «romantischen» Vorstellung vom Tonschöpfer anhängt, der tief in philosophische Denkkonstrukte eintaucht oder sich gar als Medium höherer Mächte begreift. Gleichwohl nimmt der 1976 in Herne geborene Komponist für sich das Credo seines Lehrers Hans-Joachim Hespos in Anspruch, für den Musikmachen einfach zum Stoffwechsel gehöre, so wie Atmen, und man sich daher gar nicht fragen müsse, wa­rum oder für wen man das tue.
Dass der Begriff «Gassenhauer» augenzwinkernd gemeint ist, liegt zwar auf der Hand. Allerdings würde sich Kampe manchmal wünschen, dass auch auf dem Feld der «Neuen Musik» so genannte «Gassenhauer» möglich wären. Indes, statt sich zu verbiegen und anzubiedern, lässt er seiner Lust am Klang und seinem anar­chischen Humor freien Lauf. Und er hat Interpreten gefunden, die seine Konzepte mittragen und mit großer Spielfreude und mitreißender Virtuosität zum Leben erwecken. In dem Ensemblestück Hal etwa erzeugen Carl Rosman, John Eckhardt, Eva Zöllner und Mark Knoop ein betörendes Wechselbad der Stimmungen vom «Tango» bis zum «Requiem», von der «heiligen Elektronik» bis zur «geplatzten Prinzessin». Dass es sich bei Hal um den hochsensiblen Bordcomputer aus Stanley Kubricks Film 2001 – Odyssee im Weltraum handelt, muss man nicht wissen, es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf Kampes Inspirationsquellen. Er bekennt sich zu seiner Schwäche für Science-Fic­tion-Filme, zumal für die schrägen Einfälle in dem einen oder anderen «doofen Hollywood-Blockbuster», die er nicht illustriert, sondern von denen er abstrahiert. So ist Ripley-Musik V, kongenial interpretiert von Mitgliedern des e-mex ensemble, zwar auf Alien bezogen, aber weder erscheint dieses Geschöpf in der Partitur noch wird es mit klanglichen Mitteln imitiert. Vielmehr projizierte Kampe filmische Elemente auf die strukturellen Tiefendimensionen der Musik – eingedenk der irren Blicke Lieutenant Ripleys, der ständig auf der Hut ist vor dem glitschigen Alien.
Neben «Science-Fiction» geht Kampe mit Vorliebe von «real existierenden Klängen» aus, die er für sich umdeutet und umformt. Ein Paradebeispiel dafür ist sein Orchesterstück High-Noon: Moskitos (Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Peter Hirsch), das an einen fragilen Klangkosmos zwischen Fantasiesprache und schwüler Sommernacht gemahnt. Auch Qs Nachtstück, Picard (L’art pour l’art, Michael Schröder) und die zehnsätzige Gassenhauermaschinensuite (e-mex ensemble, Christoph Maria Wagner) entfalten jeweils ein höchst eigensinniges Profil – wobei Letztere mit schrillen Klangfarben ein «Feuerwerk» der Assoziationen entfacht: von der Marsch-Persiflage bis zum «närrischen» Torjubel eines österreichischen Fußballkommentators.

Egbert Hiller