Gjertsen, R. S.
Grains
Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 1
«Fluente» auf dem Cover sind der Titel, Interpret und Aufnahmedatum mit guten Augen gerade noch zu erkennen. Darüber hinaus geizt die CD mit Zusatzinformationen, der Höreindruck muss genügen
Kaum ein anderes Instrument eignet sich so sehr wie das Violoncello für nahtlose Übergänge, nicht nur in der Tonhöhe, sondern auch zwischen verschiedenen Klangfärbungen bis hin zum Geräusch. Und wer wäre besser geeignet, diesen ständigen Fluss bis in alle Verzweigungen zum Klingen zu bringen als Friedrich Gauwerky?
Wer zuhört, erfährt einen großen Reichtum changierender Klangfarben, von Kratz-, Schab-, Klopf- und Klappergeräuschen bis hin zum fein ausschwingenden Flageolett, dem sogleich unweigerlich die nächste Attacke folgt. Das Meditative ist in der Tat nicht Ruben Sverre Gjertsens Sache. Die Einsätze kommen abrupt, als wollten sie den Hörer immer wieder aufschrecken und ihn daran hindern, sich im Gewohnten auszuruhen.
Auf Dauer wirkt dies freilich eher anstrengend, zumal alle fünf Stücke auf der CD demselben Prinzip folgen. Mindestens ein Streichinstrument ist jedes Mal dabei: Dass ein Stück endet und das nächste beginnt, zeigt sich vor allem am Wechsel der Klangfarben. Auf das Cello folgen in «Contradiction» Violine, Bassklarinette und Horn, wobei Gjertsen durchaus mit Kontrasten arbeitet: Vom runden, manchmal scharf angeblasenen Klang des Waldhorns hebt sich die Violine ebenso ab wie das obertonreiche Gurgeln der Bassklarinette. Im «Duo for viola and contrabass» kehrt er zurück zur reinen Streicherbesetzung. In «tReMbLiNg» für 14 Musiker erklingt das Schnalzen der Saiten aufs Griffbrett zu einer Sopranstimme und Flötenläufen; Glissandi und Flageolett kontrastieren mit Holzbläser-Tremoli, dem Theaterdonner der Pauken, nachdrücklichen Blechbläsern und ätherischen Beckenklängen.
Das abschließende, titelgebende «Grains» erweitert das Klangspektrum der Bratsche auf der einen Seite um scheppernde Schlagzeug-Geräusche, auf der anderen um zartere Harfentöne. Ganz gegen die Gewohnheit kommen auch die tiefen Saiten der Harfe, entsprechend präpariert, kräftig zum Schnarren, während der anfängliche Elan über Pausen und zarte Pianissimo-Passagen allmählich abklingt. So sehr aber die Klangfarben der Instrumente sich auch gegeneinander abheben: Gjertsen setzt die Instrumente nicht als polyfones Geflecht verschiedener, getrennter Stimmen, sondern in hoher Verdichtung zu einzelnen massiven Blöcken einer ausdifferenzierten, aber in sich geschlossenen klanglichen Präsenz zusammen wie eine Skulptur aus Geräuschen und Klängen. Aus Zusammenspiel und Kontrast entsteht ein einziger klanglicher Fluss: eine Klangfarbenmelodie, die weit über das hinausgeht, was Arnold Schönberg sich unter diesem Begriff vorstellte, wenn auch Gjertsen das ständige Gegen-den-Strich-Bürsten der instrumentalen Klangfarben gewiss nicht von Grund auf neu erfunden hat.
Dietrich Heißenbüttel