Graewe, Georg
grubenklang.reloaded 2010
Obwohl «das GKO für mich ein längst abgeschlossenes Kapitel meiner Geschichte» war, schreibt der Komponist und Pianist Georg Graewe im Vorwort zur Dokumentation grubenklang.reloaded 2010, machte sich in seiner Brust ein wenig Stolz bemerkbar, als er eingeladen wurde, zum Kulturhauptstadtjahr 2010 sein 1982 gegründetes Ensemble zu reaktivieren. Zwar führte die bis zu 13 Köpfe zählende Formation im Namen einen Hinweis auf eine programmatische Ausrichtung des Klangkörpers. Das Grubenklang Orchester war jedoch niemals in einem Bergwerk, d. h. unter Tage, als Klangkörper aktiv. Bei Tageslicht besehen und im Strahl der Bühnenscheinwerfer: es leistete zehn Jahre lang einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung experimentell komponierter, frei improvisierter Musik; in der Lebens- und künstlerischen Planung des Georg Graewe spielte es nach seiner Auflösung 1993 jedoch keine Rolle mehr.
«Doch nach und nach begann ich, mir Bedingungen und Modalitäten vorzustellen, unter denen ich das Projekt durchführen könnte», heißt es mit den Worten Graewes in der hervorragend gemachten Dokumentation, die nun in einer limitierten Auflage von eintausend Stück in Form eines Katalogs mit beigelegter DVD erschienen ist. Zwei Eckpunkte kristallisierten sich heraus: Es sollte kein «Jazzding» werden, und zum Zweiten sollten unter dem Dach des Grubenklang Orchesters auch andere Künstler ihre eigenen Beiträge präsentieren. Die Dokumentation grubenklang.reloaded bildet eine Rezeption in Wort, Bild und Ton, die das mehrmonatige Projekt auch als eine Entwicklung in der sich wandelnden Realität des Ruhrgebiets zeigt, die nicht nur im schwindenden Bergbau zu sehen ist, sondern damit einhergehend auch in einer veränderten Kulturlandschaft. Dass damals, vor fast dreißig Jahren, Kunst- und Kulturschaffende diese Region bereits als Metropole, als einen melting pot wie Tom Thelen im Beitrag «Grubenklang Musik zur Zeit» bemerkt gesehen haben, ist ganz im Sinne des Komponisten Graewe wiedergegeben.
Während des Kulturhauptstadtjahres 2010 gestaltete Graewe mit dem Grubenklang Orchester 27 Abende, die den Stand seines aktuellen Komponierens widerspiegelten. Daneben bestückte er mehrere Konzertreihen («words & music») und Spezialkonzerte («Schlagende Wetter», «sonic fiction»), unter anderem in Bochum, Hattingen, Essen und Dortmund, mit anderen Künstlern: Solisten wie Marilyn Crispell oder Bruno Chevillon, kleineren Formationen wie «Das Kapital» und dem Koehne Quartett sowie dem WDR Rundfunkorchester. Textbeiträge von Denman Maroney, Kai Stefan Lothwesen und Brian Morton untersuchen Beginn und Entwicklung des Komponisten Georg Graewe, literarische Texte von Barbara Köhler oder Antonio Fian reflektieren den künstlerischen Stand der Dinge.
Ein authentisches Zeitstück des neu aufgeladenen Grubenklang Orchesters einschließlich seiner erweiterten Verzweigungen dokumentiert auch die DVD mit Video- und Audiobeispielen. Keith Tippett etwa demonstrierte in der Veranstaltungsreihe «piano today» seine metallisch klingende Komposition The Approach; Graewe führte im Stanzwerk Bochum sein Bild-Sprach-Musik-Stück Alle kennen meine Visage (nach Tagebucheintragungen Albert Einsteins) auf. Das «Audio Magazine» der DVD erinnert an die Projekte «piano today», «RuhrKampf», «new generation» und «words & music».
Klaus Hübner