Tadday, Ulrich (Hg.)

Hans Zender

Reihe Musik-Konzepte, Sonderband

Verlag/Label: edition text + kritik, München 2013, 168 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 92

Der Einsicht in die totale Verfügbarkeit sämtlicher Materialien und Stile aller Epochen und Weltgegenden hat sich kaum ein anderer Komponist dieser Generation so konsequent gestellt wie der 1936 in Wiesbaden geborene Hans Zender. Seit Mitte der 1960er Jahre durch die Polystilitik Bernd Alois Zimmermanns geprägt, verbindet sein vielseitiges Schaffen heterogene Tonsysteme, Traditionen, Kulturkreise, Sprechweisen und Texte der Weltliteratur. Die Diversität und Widersprüchlichkeit manch seiner Werke ist ebenso faszinierend wie schwierig und paradox. Denn das Eigene dieser Kompositionen basiert oft gerade darauf, dass sie sich Fremdes aneignen. Diese Spannung durchzieht als roter Leitfaden auch den Sonderband Hans Zender der Reihe «Musik-Konzepte».
Zur Eröffnung thematisiert Christian Grüny die Beziehungen zwischen Zenders Tätigkeiten als Dirigent, Komponist und Autor zahlreicher musiktheoretischer Texte. Alle weiteren Beiträge nutzen die Verbindung von Zenders Denken in und über Musik bloß durch ausgiebiges Zitieren von dessen Schriften statt diese selbst zu reflektieren. Völlig unbeachtet bleiben Zenders Leistungen als Chefdirigent renommierter Rundfunk- und Opernorchester in Bonn, Kiel, Saarbrücken, Hamburg und Baden-Baden. Dabei hätten seine erhellenden Interpretationsansätze und Programmdramaturgien eine eigene Darstellung verdient. Dass diese fehlt ist umso bedauerlicher, als Zenders interpretatorischer Zugriff auf Musik der Vergangenheit und Gegenwart kaum zu trennen ist von seinen kompositorischen Textlektüren und «komponierten Interpretationen». Den his­torischen Beziehungszauber seiner Bearbeitungen Schumann-Phantasie und 33 Veränderungen über 33 Veränderungen über Beethovens Diabelli-Variationen erschließen Wolfgang Gratzer bzw. Martin Zenck, Letzterer mit ausgreifenden Exkursen zu Bachs Goldberg-Variationen und Frederic Rzewskis 1976 eigens als «companion piece to Beethoven’s ‹Diabelli Variations›» geschriebenem Varia­tionszyklus The People United Will Never Be Defeated.
Vier Beiträge widmen sich den für Zenders Œuvre zentralen Vokalwerken. Während Håvard Enge speziell an Hölderlin lesen I das Verhältnis der Musik zu Klang und Parataxe der Dichtung analysiert, skizziert Patrick Hahn anhand des über einen Zeitraum von 45 Jahren entstandenen Werkzyklus Cantos die große Bandbreite von Zenders Lesarten verschiedenster Texte von der Antike bis zur Moderne. Und während Jörn Peter Hiekel an Zenders drei abendfüllenden Musiktheaterwerken die Konvergenz zwischen inhaltlicher und struktureller Dimension herausstellt, kritisiert dagegen Stefan Drees an Cabaret Voltaire das ausgefeilte Wort-Ton-Verhältnis, das den dadaistischen Lautgedichten Hugo Balls ihre ursprüngliche Performativität, Sprachgewalt und Subversivität raube. Eine solche Kontroverse müsste Zender eigentlich gefallen. Immerhin bekennt er in einem eigenen Beitrag, sich den Ursprung der Musik von Jugend an als «ekstatisches Geheul irgendeines Urmenschen» vorgestellt zu haben.

Rainer Nonnenmann