Koegler, Horst (Hg.)

Heinz Spoerli – Weltbürger des Balletts

206 Seiten, zahlr. Abb.

Verlag/Label: Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2012
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 86

Wann Heinz Spoerli beschlossen hat, Tänzer zu werden, vermag er selbst nicht mehr zu sagen. Irgendwann, so Spoerli, habe es ihn «einfach gepackt». Spoerli hat sich aber nicht nur packen lassen. Er hat zugegriffen, fest, mit der enormen künstlerischen Energie, über die er verfügt. Seine Jahrzehnte währende Karriere als Tänzer und vor allem als Choreograf – er spricht lieber davon, ein «Tanzmacher» zu sein – sollte denn auch in vieler Hinsicht von singulärem Zuschnitt sein, in gutem Sinne auch spektakulär. Denn Spoerli hat es geschafft, das Schweizer Ballett in vergleichsweise kurzer Zeit in der internationalen Spitzenklasse zu etablieren.
Einer, der diese wundersame Karriere mit vitalem Interesse und oft glücklich staunend über all die Jahrzehnte hinweg intensiv mit wachen Kenneraugen begleitet hat, ist der Ballettkritiker Horst Koegler. Kaum jemand hat so viele Arbeiten Spoerlis gesehen wie er. Jetzt neigt sich die Zeit Spoerlis als Ballettchef der Zürcher Compagnie ihrem Ende zu. Im Sommer diesen Jahres wird der dann 72-Jährige «Adieu» sagen. Die vorliegende Publikation, an der Horst Koegler als Autor wesentlichen Anteil hat, rekapituliert die Laufbahn Spoerlis im Kontext der Ballettgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Koegler liefert mit seinen feuilletonistischen Erzählstücken den Rahmen. Seine Ko-Autoren – entweder Kritiker oder langjährige Weggefährten – porträtieren den «Weltbürger des Balletts» mal mehr, mal weniger prägnant.
Koegler stellt seinem Hauptstück ein modifiziertes Zitat aus Shakespeares Was ihr wollt voran: «Wenn die Musik des Tanzes [im Original: ‹der Liebe›] Nahrung ist, spielt weiter, gebt mir volles Maß.» Koegler umschreibt mit dem etwas koketten literarischen Kunstgriff den Kern von Spoerlis Ästhetik, in der die Musik natürlich nicht alles, aber ohne sie eben alles nichts ist. Er zeichnet in diesem choreografischen Stationenbericht einen Weg nach, der nicht denkbar ist ohne Spoerlis Grundsatz: «Ich lese die Musik in mich hinein.»
Was Koegler faktenreich in seinen Feuilletons beschreibt, unter anderem Spoerlis Neuerfindung des Handlungsballetts im 20. Jahrhundert, die glühende Leidenschaft Spoerlis für die Musik Bachs und Strawinskys – beiden Leidenschaften hat Spoerli mit Epoche machenden Choreografien ein Denkmal gesetzt –, das ergänzt Margrit Meier, die langjährige Kritikerin der National-Zeitung Basel und der Neuen Züricher Zeitung, mit einer klaren ästhetischen Positionierung des Phänomens Spoerli aus Schweizer Perspektive, kritisch, ohne zu beschönigen. Das ganz und gar auf die ästhetische Seite konzentrierte Pendant zu Meiers Text ist die Laudatio Martin Schläpfers zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2009 an Spoerli.
Flankiert werden diese und weitere Texte über Spoerli von anedoktisch Unterhaltsamem aus der Feder von Spoerli selbst, von einer ausführlichen Werkliste, einer Phalanx von rund 120 Ballettfotos (viele darunter von dem Theaterfotografen Peter Schnetz) sowie einer englischen Übersetzung des zentralen Textes von Koegler.

Annette Eckerle