Hindsbo, Karin (Hg.)

Henning Christiansen – Composer, Fluxist and Out of Order

574 Seiten, zahlr. Abb.

Verlag/Label: SOHN ApS, Rødovre (DK) 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 86

Gewiss ist es kein einfaches Unternehmen, diesem Henning Christiansen (1932-2008) aus Dänemark auf die Schliche zu kommen. Erste Annäherung bietet die Verortung im Fluxus. Doch wer sich je mit dieser fluiden Sphäre beschäftigte, der ahnt, dass dies kaum mehr als ein recht unkonkreter Wegweiser ist zu solch unterschied­lichen Physiognomien wie Nam June Paik, George Brecht oder Joseph Beuys. Von Beuys trennt Christiansen einiges, was ihn aber nicht daran hinderte, mit ihm zusammenzuarbeiten. Im März 1969 fanden sich beide im Mönchengladbacher Städtischen Museum ein und stellten ihr «Fluxus Konzert» … oder sollen wir es verändern vor. Klaus Gronen hat sich mit der Rolle Christiansens in diesem Fluxus-Konzert beschäftigt. Er korrigiert die mancherorts kolportierte Ansicht, dass der Däne nur eine Art Assistent des Meisters gewesen sei. Gronen beruft sich auf den damaligen Direktor des Museums, Johannes Cladders, der von einer «klaren, überschaubaren» Struktur des Konzerts spricht; dafür hat im Wesentlichen einer gesorgt: der an der Zeitkunst Musik geschulte Henning Christiansen.
Trotz aller (lautlosen) Aktionen, trotz aller Malereien, trotz aller Environments – Henning Christiansen blieb immer Komponist und Musiker. Died­rich Diedrichsen hält fest: «Er hat kein neues Musikgenre außerhalb des Fluxus geschaffen, aber er hat den immanent musikalischen Charakter des Fluxus als künstlerisches Paradigma zum Ausdruck gebracht.» Im schönen, grafisch aufwändig gestalteten und obendrein reich bebilderten Katalog wird diese These untermauert. Oft sieht man Christiansen auf der Bühne mit seinen Glöckchen, dann spielt er auf seiner grünen Geige zur Begleitung seines
rituell anmutenden Pferdeopfers. Selbst die Malerei des Dänen strotzt nur so von immanent musikalischen Themen. Da wäre zum Beispiel im engeren Sinne die auf den Seiten 206 und 207 des Bandes abgebildete, im Sinne einer grafischen Partitur geradezu klingende Werkreihe In Penthesileas Höhle von 1984.
Der monografische Katalog bietet ein umfassendes Bild. Karin Hindsbo gibt Einblicke in die frühe musikalische Sozialisierung: Christiansens Ausbildung an Det Kongelige Danske Kunstakademi folgten ein skandalträchtiger Rauswurf und Aufenthalte bei den Darmstädter Ferienkursen, die schon Anfang der 1960er Jahre die energische Abwendung von Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen beschleunigten. Manche Texte wiederum stammen von Christiansen selbst, während der Großteil der Autoren sich mit dem Verhältnis zum Fluxus beschäftigt. Bjørn Nørgård, der mit dem 2008 Gestorbenen eng befreundet war, hat Wesentliches erfasst, wenn er schreibt: «Henning ist kein Mitglied von Fluxus. Henning ist Fluxus. Hennings Radikalität ist nicht theoretisch, durchdacht oder angeeignet, sondern ein Teil seiner Persönlichkeit […].» Lebensnah klingen solche Worte. Und sie machen – auch das zeigen die Texte von und über Christiansen – den kunsthistorischen Umgang mit diesem einfallsreichen, mitunter skurrilen Künstler nicht gerade leicht.

Torsten Möller