van der Aa, Michel

Here Trilogy

Verlag/Label: Disquiet DQM 02
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Michel van der Aa wird zu den heraus­ragenden niederländischen Komponisten seiner Generation gerechnet. In Kritiken wird unablässig seine multi­mediale, mithin multidisziplinäre Virtuosität gelobt. Im Soziotop der neuen Musik darf man van der Aa, Jahrgang 1970, getrost zu den Zielstrebigen, zu den Bodenständigen rechnen, zu de­nen, die den Elfenbeinturm höchstens aus Erzählungen kennen. Triebfeder für van der Aa war und ist eine vordergründig schlicht anmutende Maxime: «Musik ist nur dann wirklich fesselnd, wenn Poesie und Form untrennbar miteinander verbunden sind.» Nach einer Ausbildung zum Toningenieur absolvierte van der Aa ein Kompositionsstudium am Konservatorium von Den Haag bei Diderik Wagenaar, Gilius van Bergeijk und Louis Andriessen. Den musikalischen Studien folgte ein Kurs in Filmregie an der New Yorker Filmakademie und in einigem Abstand ein Intensivkurs Dramaturgie am Lincoln Center Theater Director’s Lab.
Furore machte van der Aa deshalb zunächst und vor allem mit seinen Musiktheaterwerken, darunter One (2002), After Life (2005/06) und Das Buch der Unruhe (2008, nach dem Roman von Fernando Pessoa). In ihnen lassen sich jene Ingredienzien finden, wie man sie aus dem Werk seines wohl wichtigsten Lehrers, Louis Andriessen, kennt: vorwärtsdrängen­de Energie, Sparsamkeit beim Zugriff auf verschiedene musikalische Materialien, Kombinationen von harten, scharf geschnittenen Klängen mit atmosphärisch fein gesponnenen Sounds.
Dass Michel van der Aa ein Komponist ist, der nicht anders kann als theatralisch denken und schreiben, prägt auch seine rein instrumentalen Werke, seine Werke für Stimme und Orchester und jene für Soloinstrument und Orchester. Spaces of Blank (2007), ein dreiteiliger Liedzyklus nach Gedichten von Emily Dickinson und Ro­zalie Hirs, lässt sich als Konzentrat der Ästhetik van der Aas beschreiben. Konstruktivistisch, wie von manchen behauptet, ist der musikalische Ansatz van der Aas hier eher weniger. Der Komponist vertraut wie auch in dem dreiteiligen Zyklus Here  – 1. Here (enclosed), 2. Here (in circles), 3. Here (to be found) – für verschiedene Besetzungen (mit oder ohne Soundtrack) auf die generative Kraft von rhythmisch-melodischen Zellen, scharf gegeneinander gesetzt, ihren Aufprall nutzend, ihre Reibeenergie, wenn sich diese kompositorischen Zellen erst einmal dicht aneinandergefügt haben. Die Instrumentation erinnert bisweilen ein wenig an den Strawinsky der Psalmensinfonie, aber nur ein wenig. Denn van der Aa montiert sehr viel mehr repetitiv Variiertes aneinander, sucht nach Klängen von metallisch anthrazitfarben schillernder Poesie. Bei der Wahl der Interpreten für diese so subtil wie kraftvoll expressiven Stücke hat van der Aa eine durchweg sichere Hand bewiesen.
Annette Eckerle