«Höre Hespos!»

Hans-Joachim Hespos im Interview mit Tobias Daniel Reiser | 115 Seiten mit CD

Verlag/Label: Simon Verlag für Bibliothekswissen, Berlin 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 85

Aus dem Notenbild sich Musik innerlich hörend zu erschließen, ist für manche höchst erquicklich. Hespos hingegen braucht, nicht nur im Akt des Komponierens, das tatsächliche, sinnlich vollziehbare, die Hörorgane herausfordernde Hören. Mehr noch: «hören ist für mich» – Hespos schreibt wie Brecht alles klein, die Titel seiner Stücke stehen meist in Großbuchstaben – «ein überlebensnotwendiger vorgang. ohren sind für mich atemorgane.» Jenes Hören sei für ihn «eine offene atembereitschaft». Nicht zufällig heißt eines seiner Werke OHRENATMER. Während des Komponierens müsse er stets mit der Außenluft in Verbindung sein. Auch wenn er drinnen komponiert, solle das Fenster möglichst weit geöffnet sein. Kleine, geschlossene Konzertsäle bereiteten ihm Schwierigkeiten. Auch enge Studios seien nichts für ihn, zum Hören brauche er den offenen Raum. Folgerichtig sind ihm Störgeräusche von außen willkommen. Ein lauttönend vorbeifahrender Polizei­wagen etwa oder eine Straßenbahn. Derlei flösse durchaus in seine Klangtexturen ein.
«Höre Hespos!» ergänzt das Bild des inzwischen über siebzigjährigen Komponisten aus Ganderkesee nicht nur, es öffnet den Blick in eine Werkstatt, die ihresgleichen sucht. Nicht um Tupfer, Farben geht es, womit sich die Figur rundet und dem Betrieb zusätzlichen Glanz verleiht. Genau das Gegenteil ist der Fall. «Höre Hespos!» signalisiert eine Ferne zum gegenwärtigen, vermeintlich pluralistischen Betrieb, in jedem Wort. Hört, verehrte Leser, hört, wie sich hier ein höchst produktives, gedankenscharfes, kritisches Außenseitertum kund gibt, dem die Jugend nacheifern sollte. Hans-Joachim Hespos ist ein Künstler, dem es – sonst würde er anders reden – wahrlich um das qualitative Überleben neuer Musik zu tun ist, wo doch das Gros glaubt, alles sei in Butter, alles wohl gefügt, trotz schrumpfender Kassen.
Nee, sagt Hespos. Allzu eingeschliffen sei der Betrieb, interessengelenkt, die Musiker allzu abgerichtet auf das Gängige, das Immergleiche. Beklagenswert sei der Mangel an wirklich kühner, die Erstarrungen aufbrechender Gegenwartsmusik. Ein Teil Komponisten sei überzählig, messe sich nicht am Besten, ein Teil sei gar überflüssig. Und er begründet das. Die Donaueschinger Musiktage kennzeichnet Hespos, gefürchtet in Festivalkreisen und darum ignoriert, als «donaueschinger festspielmarkt» und dessen Publikum als «marktpublikum».
Und Hespos fragt in nicht geringem Maße nach Welt, der, die täglich aus dem Radio tönt, und der großen, die nach grundlegenden Umgestaltungen geradezu schreit. Nicht allzu viel Schönes entdeckt er, vielmehr ist er erschrocken: «markt und musikindustrie sind dran interessiert, dass die perlenkette der profitproduktion sich ununterbrochen fortsetzt, das einzelne interessiert gar nicht, denn die perlen der ketten sind austauschbar.»
Insbesondere aber rankt das Gespräch, das Tobias Daniel Reiser inspiriert geführt hat, um Werke von Hes­pos und Probleme, dieselben hervorzubringen. Hilfreich ist die beigefügte CD. Sie gibt Einblick ins Hespos-Werk, und sie ergänzt die analytischen, musikbetrachtenden Fäden, die das Gespräch knüpft. Das Buch dürfte selbst konservative Geister fesseln. Geballte Erfahrung des Komponisten steht hinter jedem Wort. Zugleich ist des Meisters Gedankentum so inegal, so querstehend, so stolz, so eigensinnig, so vorpreschend, dass man geneigt ist, die Lektüre nicht mehr aus der Hand zu legen.

Stefan Amzoll