Maïda, Clara

in corpore vile 2003-2008

Verlag/Label: daad ed. RZ 10017
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 3
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4


Clara Maïda wurde 1963 in Saint Malo in der Bretagne geboren. Die räumlichen Koordinaten ihres Lebens sind heute Paris und Berlin. Das Koordi­natensystem ihrer kompositorischen Arbeit ist geprägt von ihren psycholo­gischen Studien. Zwar arbeitet sie ausschließlich als Komponistin; Trieb­feder ihrer kompositorischen Ar­beit jedoch ist die Betrachtung der Körper- und Seelenwelt, ist der schöpferische Umgang mit den großen psychoanalytischen Theorien des 20. Jahrhunderts. Die Musik Maïdas, könnte man sagen, funktioniert wie ein psychoanalytisches, wie ein psychosoziales Echolot.
Aber verlangt Clara Maïda nicht ein wenig viel von ihrer Musik, von Musik überhaupt? Bei ihr soll Musik Auskunft geben über die Instrumentalisierung des Körpers im 20. Jahrhundert, soll darüber reflektieren, wie der Körper unter dem Joch der puritanischen Moral zu etwas unbewusst Agierendem geworden ist. Ihre Aus­gangsthese: «Wir besitzen keine Macht über die Kräfte, die auf unseren Organismus wirken.» Weil sie darüber also den kompositorischen Beweis führen will, spricht sie nicht einfach von einer kompositorischen Arbeit, sondern von kompositorischer Forschung. Sie beschreibt, wie sie durch das Studium von psychoanalytischer Literatur zu einem musikalischen Denken zu gelangen glaubt, das in der Lage ist, die komplex verknüpften Strukturen von Bewusstem und Unbewusstem musikalisch abzubilden.
Exemplarisch mag dafür ihr Zyklus psyché-cité/transversales (2005-2007) stehen. Diesen, so Maïda, habe sie geschrieben, als sie begann «sich für Beziehungen zu interessieren, die sich zwischen dem Raum des Klangs und dem urbanen Raum etablieren lassen, zwischen dem Klang­körper, dem psychischen Körper so­wie seinen technologischen und städtischen Auswüchsen». Die Struktur des urbanen Raums wiederum begreift Maïda als eine Kon­struktion, die dazu bestimmt sei, «die Unzulänglichkeiten des Körpers zu kompensieren, […] als einen gigantischen, kollektiven, künstlichen Organismus, eine riesige Kreuzung, in der die Vielfalt der Assoziationsketten des Un­bewussten aufscheinen».
Das Maïda zur Erklärung ihrer musikalischen Assoziationsimpulse au­ßerdem moderne Wissenschaften wie Genetik, Psychophysiologie, Teilchen­physik und die Nanowissenschaften heranzieht, lässt vermuten, dass sie möglicherweise ihrer eigenen Musik nicht über den Weg traut, weshalb sie sich in hybride Erklärungsmodelle flüchtet. Lässt man aber den theoretischen Überbau der Komponistin beiseite, findet man sich wieder in energiegeladenen Musiken, in denen mutig motorische Extreme ausbalanciert werden, und man findet sich wieder in hermetisch geschlossenen Ton-Sound-Geräusch-Klang-Räu­men, in denen sich Klang-Geschichten von rauer Poe­sie ereignen, in Klang-Geschichten, die sich schlüssig aus den Bewegungen ihrer Materialien generieren. Wozu also dieses krampfhafte Festhalten Maïdas an wissenschaft­lichen Diskursen, die materialbedingt in der Musik so überhaupt nicht geführt werden können?

Annette Eckerle