Gubaidulina, Sofia
In Croce
Werke für Kontrabass
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 4
Neben Kontrabass-Ikone Stefano Scodannibio hat sich vor allem Landsmann Daniele Roccato um einen progressiven Zugang zu einem jenseits des Jazz eher stiefmütterlich behandelten Instrument verdient gemacht und diesem nicht nur im Rahmen der neuen Musik ganz neue Klangmöglichkeiten erschlossen. Ihre Visionen verwirklichten beide gemeinsam im Kontrabassensemble «Ludus Gravis».
Zu den wenigen KomponistInnen, die schon früh erwähnenswerte Musik für das solistisch völlig vernachlässigte Instrument schrieben, gehörte Sofia Gubaidulina. Ihre zwölftönige Pantomime für Kontrabass und Klavier (1966) war so etwas wie die Initialzündung eines avancierten Bassspiels mit diffizilen Klangtechniken und theatralischen Elementen. Eine unheilvolle Rastlosigkeit liegt über diesem Stück, als hätte die Komponistin sich hier ihrer Studienzeit in der ausgehenden Stalin-Ära erinnert.
Wie effektiv und wunderbar konzentriert Gubaidulinas Musik auf das Wesentliche ausgerichtet ist, offenbart die Sonata für Kontrabass und Klavier (1975). Eine melancholische Zwiesprache in brüchigen Monologen und elementaren Klanggesten, deren Reduktion fast an die Radikalität einer Galina Ustwolskaya gemahnt. Sehr eindringlich gespielt!
Die beiden anderen Stücke sind nicht einfach nur von fremder Hand eingerichtete «Transkriptionen», sondern von der Komponistin selbst verfasste Bearbeitungen mit dem Status eigenständiger Re-Kompositionen. In Croce (2009), ursprünglich 1979 für Cello und Orgel geschrieben, ist hier bereits in dritter Version zu hören, diesmal für Kontrabass und Bayan gesetzt, was dem charismatischen Stück ganz neue, noch exotischere Klangfarben erschließt. Gubaidulinas spiritueller Rekurs auf Elemente verschiedener volksmusikalischer Traditionen (ab 1975 ausgelebt im Improvisationsensemble «Astreja») könnte kaum suggestiver in Erscheinung treten. Allerdings wird in diesem Stück die aufnahmetechnisch manchmal etwas unausgegorene Balance zwischen Bass und «Begleitinstrument» auch am deutlichsten.
Die Preludes wurden ursprünglich 1974 für Cello komponiert (nicht wie im Booklet angegeben für Violoncello und Orgel!). Aber diese neun unmittelbar expressiven Klangbilder, die viel mehr beinhalten als die in den Satztiteln ausgewiesenen Spieltechniken, lassen dank Daniele Roccatos stupender Technik und sublimer Artikulationskunst auch auf dem Kontrabass nichts an Differenziertheit, Beweglichkeit und Vielfarbigkeit vermissen.
Dirk Wieschollek