Karlheinz Stockhausen

In Freundschaft

Verlag/Label: Stockhausen-Verlag 102
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 76

Musikalische Wertung: 3

Technische Wertung: 4

Booklet: 3

 
Seltenes Privileg einer CD-Produktion, dem Hörer ein und dasselbe Werk in gleich fünf verschiedenen Fassungen zum Erleben zu geben! Eine Schule vergleichenden Hörens, noch dazu im Kontext einer Komposition, der Karlheinz Stockhausen eine seiner profunden, seine Werkästhetik hell beleuchtenden musikalischen Analysen mit programmatischem Titel gewidmet hat: «Die Kunst, zu hören»
In Freundschaft entstand im Juli 1977 als Geburtstagsgeschenk für die Klarinettistin Suzanne Stephens. Doch schon die Uraufführung dieses knapp 15-minütigen Solostücks erklang in einer Fassung für Flöte; an Fassungen für zahlreiche weitere Instrumente arbeitete Stockhausen bis in die letzten Jahre. Die vorliegende CD nun macht die bereits auf diversen Tonträgern der Stockhausen-Gesamtausgabe verstreut vorliegenden Versionen des Stücks komplett.
Die Urfassung von In Freundschaft fällt in das für Stockhausens Schaffen bedeutungsvolle Jahr der Entstehung des LICHT-Zyklus, und es ist, als scheine in der Konstruktion und klangsinnlichen Anmutung des Stücks die spätere, mystisch geprägte Privatästhetik des Komponisten bereits keimhaft auf. Das Hören wird hier in gleich mehrfacher Weise herausgefordert. Denn an nichts Geringerem als einer kunstvollen Mehrschichtigkeit in der Einstimmigkeit ist Stockhausen interessiert. «Horizontale Polyphonie» nennt er das Zusammenkommen dreier Schichten, die sich aus einer mehrgliedrigen Anfangsformel heraus entwickeln und fortan Bestand haben. So problematisch das Erfassen dieser Schichten in ihrem sukzessiven Verlauf auch sein mag, so unschwer ist zu erkennen, dass Stockhausen die artifizielle Kon­struktion der Musik – die auf eine trillerartige Mittelschicht bezogenen Außenschichten, eine ho­he in ruhiger, eine tiefe in rascher Bewegung, sind zeitlich und räumlich Spiegelungen voneinander – als ein Symbol begriff für das, was der Titel bezeichnet: die freundschaftliche Beziehung nicht nur zwischen Tönen, sondern auch zwischen Menschen.
Ein hermeneutischer Parforceritt für den Hörer, dem die Interpreten auf der vorliegenden CD unterschiedlich straffe Zügel in die Hände legen. Während die Geigen- und Bratschen-Versionen mit Raul Lustgarten und Anna Tkatchouk etwas spannungslos und kontrastarm bleiben, stiftet Petra Stump auf der Bassklarinette geschmeidige Beziehungen zwischen den einzelnen Schichten und betört mit einem sensationellen Multiphonics-Effekt (Track 2, 10:28- 10:49). Hans Nickel meistert die Tuba-Version überraschend behen­de, lyrisch in den Höhen, nahezu buffonesk in den Tiefen. Die strukturell klarste Interpretation des Stücks gelingt zweifellos Friedrich Gauwerky. Sie ist als Einstig in Stockhausens In Freundschaft-Kosmos nicht zuletzt deshalb zu empfehlen, da der Cellist am stärksten mit gleichsam persönlichem Ton spielt, den Tönen also als hingebungsvoller Gestalter ein ganz individuelles Gepräge verleiht und damit dem Hörer – wie gewiss auch dem Komponisten-Willen – einen wahren Freundschaftsdienst erweist. 
Rafael Rennicke