Stockhausen, Karlheinz

IN FREUNDSCHAFT

Versionen für Blockflöte, für Fagott, für Horn und für Kontrabass

Verlag/Label: Stockhausen Verlag Nr. 101
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 80

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

IN FREUNDSCHAFT entstand 1977 als Geburtstagsgeschenk Stockhausens an die Klarinettistin Suzanne Stephens. Von Anfang an als Werk für verschiedene Soloinstrumente konzipiert, findet sich der Aspekt der freundschaft­lichen Verbundenheit mit dem Komponisten in der Entstehungsgeschichte jeder neuen Version wieder. Die hier vertretenen Versionen entstanden auf Anregung der Blockflötistin Geesche Geddert, die auch auf der vorliegenden Aufnahme zu hören ist, durch die Begegnung mit Kim Walker (Fagott), auf die Initiative von Alejandro Govea Zap­pino (Horn) und schließlich durch die Erarbeitung des Materials für Kontrabass durch Heiko Maschmann und Kathinka Pasveer.
Nach eigener Aussage geht es Stock­hausen bei IN FREUNDSCHAFT um das Einüben der Kunst des Hörens. Die Struktur des Werks ist deshalb auf eine größtmögliche Transparenz hin ausgelegt: Es besteht aus einer Formel, die sich wiederum aus fünf durch Pausen separierten Gliedern zusammensetzt. Diese werden zunächst als eine von drei Schichten exponiert. Durch Umkehrung der Formel im Krebs entsteht die zweite Schicht. Beide werden aus Gründen besserer Unterscheidbarkeit mit kontrastierenden Attributen versehen: hoch, leise, langsam und tief, laut, schnell. Eine fallende kleine Sekunde am Ende des fünften Gliedes geriert sich zum medial gelagerten Triller, der die dritte Ebene des Werks bildet. Anhand dieser Grundaufstellung dekliniert Stockhausen nun in sieben Stadien alle denkbaren Konstellationen einer konstruktiven Freundschaft durch, indem er die divergierenden Ebenen miteinander in Bezug setzt – es entsteht Austausch, Widerspruch und rege Diskussion. Trotz vermeintlicher Differenzen ist die Tendenz eindeutig: Die metaphorische Freundschaft wird mit der Zeit enger, genauso wie sich die äußeren Schichten nach jedem Zyklus um eine kleine Sekunde annähern.
In der 101. CD-Veröffentlichung des Stockhausen-Verlags wird dem pädagogischen Anspruch der Komposition Rechnung getragen, indem Versionen für klangfarblich unterschied­liche Instrumente miteinander kom­piliert werden. Alle Nuancen des Tonhöhenregisters kommen zum Tragen und sind durch die hervorragende
Abmischung in all ihrer Diversität zu erleben. Die glasklare Transparenz der Interpretationen, die zu keinem Zeitpunkt spröde wirken, ist perfekt eingefangen. Allen voran ist Heiko Maschmann für seinen in allen Lagen hochlebendigen, parlierenden Kontrabass zu loben. Die Technik macht wiederum möglich, dass sogar das szenische Moment von IN FREUNDSCHAFT auf der CD hörbar wird: Stockhausen schreibt vor, dass die verschiedenen Schichten des Werks in verschiedene Richtungen und lange Liegetöne der Bläser in «kreisender Bewegung» gespielt werden sollen, was das Stereobild der Abmischung festhält. So findet der Dialog tatsächlich auch räumlich statt. Ein vorbildlich gestaltetes Booklet mit allen relevanten Informationen und der Originalzeichnung der Formel Stockhausens auf dem Cover machen die CD schließlich zur Referenzaufnahme dieses Ausnahmewerks neuerer Solo­literatur.

Patrick Klingenschmitt