Mori, Ikue

In Light of Shadows

Verlag/Label: Tzadik TZ4007
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 80

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 4

 
Irgendwann hatte Ikue Mori von der digitalen Simulation genug. Nach der Produktion von zwei Trickfilmen wollte die 1963 geborene japanische Elektronikerin, die seit Jahren in New York lebt und viel mit John Zorn arbeitet, zum Handgemachten zurück. Sie fing an, Marionetten zu basteln und eine kleine Bühne mit Beleuchtung zu bauen. Das war insofern nichts wirklich Neues, als Mori schon früher – gleich nach ihrem Kunststudium, als sie noch in Japan lebte – Handpuppen gefertigt hatte. Inspiriert von den Geistergeschichten von Izumi Kyoka, einem japanischen Vertreter der fantastischen Literatur, begann sie Geschichten von herumirrenden Gespenstern in einer düster-geheimnisvollen Welt zu inszenieren. An den Computer kehrte sie erst für die Arbeit am Soundtrack zurück, der jetzt als CD vorliegt. 
Im Klänge-Basteln ist die Japanerin hochversiert. Töne und Melodien werden mit zusätzlichen Effekten angereichert, bevor das Ganze weiter verfremdet und verfeinert wird. In ihrer abstrakten Klangwelt sind Farben und Texturen ebenso wichtig wie Geräusche oder Beats. Da piepst, zirpt und knarzt es oder zwitschert, zischelt und pocht. Gerade schwebten noch skurrile Tonreihen vorbei, rückwärts und in doppelter Geschwindigkeit verquirlt, um kurze Zeit später bunten Klangnebeln Platz zu machen. Dazu kommen Sounds ohne jeglichen Be­zug zu Klangphänomenen der realen oder imaginären Welt. All die verschiedenen Elemente werden zum Schluss zu komplex schillernden Kompositionen geordnet und verdichtet. 
In seinem berühmten Essay «Lob des Schattens» arbeitet der Schriftsteller Tanizaki Jun’ichiro¯ die Bedeutung des Schattens in der japanischen Ästhetik heraus, was als Plädoyer für eine Kunst der subtile Nuancen und feinen Abstufungen zu begreifen ist. Ikue Mori hat die Botschaft verstanden. Im Schatten ihrer Klänge entfaltet sich eine verwunschene Welt.
Christoph Wagner