Zimmermann, Bernd Alois

Initiale

Lieder und frühe Kammer­musik

Verlag/Label: Wergo WER 67352
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/03 , Seite 83

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Manche Komponisten sind von ihren ersten Werken an mit ihrem spezi­fischen, sofort wiedererkennbaren Klangcharakter «da»; Johannes Brahms und Sergej Rachmaninov, jeder auf seine Weise, sind Beispiele dafür. Andere benötigen eine längere Entwicklung, bevor sie sich selbst und ihren individuellen Klangtypus gefunden haben; hierzu zählt auch Bernd Alois Zimmermann (1918-70). Die hier zum größten Teil erstmals eingespielten Frühwerke lassen kaum ahnen, was später aus diesem Komponisten werden sollte – umso erstaunlicher die Entwicklung, wenn man sein Œuvre vom Ende her betrachtet.
Die expressionistischen Drei Lieder aus dem Nachlaß (1939-42) und die lange verschollen geglaubte Kleine Suite für Violine und Klavier (1942) samt ihrem ursprünglichen Mittelsatz «Aria», die dem Neoklassizismus nahesteht, bezeugen die Kenntnis der damals zugänglichen Vorbilder. Die Fünf Lieder (1942-46) zeigen in der weiträumigen Melodieführung wie auch dem differenzierten, teils wuchtigen, teils transparent-filigranen Klaviersatz schon stärkere Individualität und den für den späteren Zimmermann typischen Ausdruckswillen. Dieser Zyklus enthält auch die Rilke-Vertonung «Initiale», die der vorliegenden Edition den Titel gab. Besonders subtil ausgestaltet wirken die Lieder nach Texten von Ernst Bertram, auch wenn die Textwahl dieses politisch belasteten Autors erstaunt. Dagegen macht das Streichtrio (das Zimmermann später zu einem Konzert für Streichorchester ausarbeiten sollte) einen eher konventionellen Eindruck.
Das späteste dieser «Frühwerke» ist die Sonate für Violine und Klavier von 1950, auch dies eine Vorstudie, nämlich zum Violinkonzert aus dem gleichen Jahr. Vorbilder wie Strawinsky oder Bartók sind zwar erkennbar, aber der Komponist bewegt sich schon zügig auf jenes Stilspektrum zu, das dann für ihn typisch werden sollte. Die Zusammenstellung, vor allem des schmalen, hier vollständig vorgestellten Liedschaffens, ist auf jeden Fall
erhellend für die Gesamtpersönlichkeit Zimmermanns und zeigt seinen «Stilpluralismus» hier sozusagen diachronisch als Ergänzung zur späteren Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Mu­sikidiome.
Die Interpreten bieten eine rund­um zufriedenstellende Leistung; Anna Prohaska gefällt durch ihr vielschichtiges Piano und die Spannweite zwischen Verhaltenheit und Forte-Ausbruch; lediglich erscheint, besonders in den Nachlass-Liedern, der Klavierpart etwas unbalanciert im Vordergrund. Auch haben Rachel Schmidt und Cordelia Höfer bei der zugegeben vertrackten Sonate für Violine und Klavier einige Mühe. Technisch solide interpretiert das Trio Berlin Zimmermanns Trio; Suite und Aria sind bei Alessandro Cappone einnehmend und tonschön realisiert.
Hartmut Lück