Friedl, Reinhold

Inside Piano

2 CDs

Verlag/Label: zeitkratzer, zkr0013
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/05 , Seite 77

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Zwei Stunden, zehn Minuten und 14 Sekunden – Reinhold Friedl meint es ernst. Auf zwei CDs präsentiert der Komponist und Leiter des zeitkratzer-Ensembles neue Möglichkeiten im Umgang mit dem präparierten Klavier. Womöglich um sich von der umfangreichen Tradition der Klavierpräparation abzugrenzen, die der Berliner im Begleittext der CD kurz skizziert, fasst er seine Experimente unter dem Schlagwort inside piano zusammen, ein Begriff, den er auch erfunden zu haben behauptet.
Weshalb seine Versuchsanordnungen unter dem Stichwort «Innenklavier» laufen und nicht als präpariertes Klavier aufgefasst werden, liegt daran, dass Friedl den Innenraum seines Instruments tatsächlich in Echtzeit spielt. Fotografien im Booklet dokumentieren, wie seine Hände Objekte verschieben und neu organisieren. Natürlich präpariert er das Klavier auch, klemmt Stahlfedern und Schrauben zwischen die Saiten, legt Steine hinein oder stellt Gläser in den Korpus. Diese Elemente sind aber keine fixierten statischen Blöcke, die einfach nur im Innenraum ruhen; sie können jederzeit bewegt werden und tragen so zu einer wendigen Klanggestaltung bei.
Mit dieser Flexibilität möchte der Pianist sein Instrument zum Singen bringen. Immer wieder betont Friedl die orchestralen Qualitäten des Klaviers. Es geht ihm um die Inszenierung des Pianos als großen Musikapparat. Sein Ziel ist es dabei, viele unterschiedliche Klänge herzustellen und innerhalb eines Stücks zusammen­zuführen, immer wieder nach neuen Sounds zu suchen. Vielfalt statt Einseitigkeit lautet das Motto.
In dem Stück L’horizon des Ballons schabt er mit einem Metallrohr über die Saiten des Instruments. Das macht er 39 Minuten lang, beginnt mit zärtlich klirrenden Sounds, die er verdichtet und am Ende in ein Geräusch auflöst, das mehr an das Feedback einer Gitarre als an ein Klavier erinnert.
Und genau das ist auch die Stärke des Albums. Reinhold Friedl manipuliert das Instrument so geschickt, dass es an manchen Stellen nahezu unmöglich wiederzuerkennen ist. In L’espoir des Grillons setzt er E-Bows ein, die er auf die Saiten des Klaviers legt und diese dadurch in Schwingungen versetzt. Im Eingangsstück Évasions pour Déplaire entfacht er einen tobenden Klangsturm, während sich in Chevelure de Cognasses die Situation entspannt. Die Musik atmet – zitternde Saitengeräusche und perkussive Impressionen bestimmen die Kompo­sition.
So interessant die Stücke auch sind, so originell ihre Machart auch ist, sie haben auch ihre Mängel. Manche von ihnen klingen zum Beispiel sehr ähnlich. Sie sind von einer metallischen Akustik durchsetzt, die sich nach zwei Stunden, sofern man sich das Album komplett anhört, sehr stark abnutzt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es vielleicht klüger gewesen wäre, nicht alle Komposi­tionen auf einen Schlag zu veröffentlichen. Schließlich ist parallel zum CD-Release noch eine Bonus-LP mit Stücken erschienen, die nicht auf dem digitalen Tonträger enthalten sind. Also knapp drei Stunden Innenklavier. Die beste Lösung ist hier ein Konsum in Maßen. Nicht alles auf einmal hören, sondern langsam und etappenweise. Nur so kann sich die Magie von Reinhold Friedls Musik am besten entfalten.
Raphael Smarzoch