Insomnio
Werke von Jukka Tiensuu, James Wood, Roderik de Man und Luca Francesconi
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
Es beginnt zupackend vom ersten Augenblick an, während die Solostimme bei den Staccato-Schlägen des Ensembles unversehens von Flöte zu Oboe zu Trompete wechselt. In dieses belebte Konzert perlen plötzlich elektronische Klänge hinein, später treten verfremdete Vogelstimmen hinzu. Doch anders als bei seinem Landsmann Einojuhani Rautavaara handelt es sich bei Jukka Tiensuu nicht um Naturlaute vor romantischen Orchesterklängen: Was in der Komposition nemo Flöte, was Elektronik, was Vogelgesang ist, lässt sich kaum auseinanderhalten. Auf einmal findet sich der Hörer gefangen in einem Wirbel aus zwitschernden, klingelnden Tönen. Dann wieder scheinen Chorlaute aus unbestimmten Tiefen emporzusteigen, bevor aus statischen Klangflächen flugs wieder die anfängliche Dynamik zurückkehrt. Die Musik gleicht einer Traumlandschaft, die sich schon im nächsten Moment buchstäblich in jede Richtung weiterentwickeln kann.
Nicht weniger energisch geht das Utrechter Ensemble Insomnio die drei weiteren Kompositionen des Tonträgers an. In James Woods De telarum mechanicae entfalten Mandoline, Harfe, Gitarre, Vibrafon und Klavier ein dichtes, stets wandelbares Achtelgeflecht vor langgezogenen Bläser- und Streichertönen. Irgendwann gerät auch hier das gesamte Ensemble immer mehr in Bewegung, geeignet, eine Hochgeschwindigkeits-Dampfzugfahrt zu illustrieren, die dann wieder unter kräftigem Pfeifen zu einem vorläufigen Haltepunkt gelangt, nur um immer wieder neu Fahrt aufzunehmen. Nach einem Ruhepunkt klingt die Komposition noch mehrere Minuten lang eher verhalten aus, bevor das Fagott in einem letzten kurzen Lauf das Thema noch einmal aufgreift.
In Roderik de Mans Chromophores erschallen nach anfänglich blechernem Geklapper helle Mandolinen-, Oboen- und Streicherklänge virtuos über einem tiefen Grund aus dumpfen, getragenen Clustern. Die Elektronik erweitert das Klangspektrum ins Geräuschhafte und steigert sich in höchste, zirpende Töne. Obwohl es durchaus sehr bewegt, aber auch beinahe lautlos still werden kann, schreitet die Komposition, von schnellen Läufen und Wirbeln umspielt, in langsamen, schweren Schritten voran.
Luca Francesconis Islands setzt perkussiv ein, und in der Tat: so viel treibende Rhythmik findet sich in der Musik der Avantgarde selten. Allerdings nicht sofort. Francesconi lässt sich Zeit, in die Klänge hineinzuhorchen, bevor er im zweiten Teil des Stücks, das sich auch als Klavierkonzert bezeichnen lässt, die Massen in Bewegung setzt. Laura Sandee füllt den Piano-Part bravourös aus, kongenial unterstützt von den Musikern des Ensembles. Nach mehrfachem Innehalten beendet schließlich das Klavier den rasanten Lauf mit einem hohen Triller und einem tiefen Akzent.
Unter der Leitung von Ulrich Pöhl beweist das Ensemble Insomnio durchweg eine außergewöhnliche Spielfreude, die auch beim wiederholten Anhören immer wieder Vergnügen bereitet. Auch wenn alle vier Kompositionen Ähnlichkeiten aufweisen, unterscheiden sie sich doch wieder in ihrem Charakter, in ihrer Herangehensweise: eine von Anfang bis Ende empfehlenswerte CD.
Dietrich Heißenbüttel