Tadday, Ulrich (Hg.)

Isabel Mundry

Musik-Konzepte-Sonderband | 197 Seiten

Verlag/Label: edition text + kritik, München 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 85

Isabel Mundry ist ein dankbares «Studienobjekt». Eloquent äußert sie sich zur Musik der Vergangenheit, der Gegenwart und zu eigenen Werken. All das geschieht – Mundrys Aufsatz «Reflexion und Sehnsucht» und ihr ebenfalls im Sammelband gedrucktes Gespräch mit Siegfried Mauser («Kunst und Künstlichkeit») belegen es – niemals im Plauderton oder im Sinne einer Selbstinszenierung, sondern stets fundiert, distanziert und informiert. Solche Vertrautheit mit dem Wort hat allerdings auch seine Kehrseite. Laurenz Lütteken benennt sie im einleitenden grundlegenden Aufsatz «Komponieren im 21. Jahrhundert»: «Die Umtriebe des gegenwärtigen musikalischen Lebens haben zu einer eigenwilligen Vorliebe geführt, den Komponisten als Deuter seiner selbst in den Mittelpunkt zu stellen.»
Mehr oder weniger geschieht genau das im vorliegenden Sammelband mit insgesamt neun Aufsätzen, die im Rahmen des Zürcher Festspiel-Symposiums 2011 gehalten wurden. In Melanie Wald-Fuhrmanns Text über Mundrys Bezüge zur Musik Guillaume Dufays, Antonio Scandellos und Louis Couperins wirkt die Analyse «nachgeschaltet»; jene Schlüsse, die Wald-Fuhrmann zieht, tauchen am Ende des Buchs in Kommentaren der Komponistin wieder auf.
Neben solchen Anleihen stellt sich bei der Lektüre heraus, dass der «Ton» der Aufsätze einen durchaus dominanten philosophisch-musikwissenschaftlichen Jargon Mundrys widerspiegelt. Zugegebenermaßen spielt – man denke an Klüppelholz und Kagel – die Engführung von Komponist und Exeget meist eine Rolle. Im Fall des Sammelbandes jedoch wirkt das besonders uniform, ja in sophistischer Manier ästhetizistisch.
Kontrapunktisch hätte man gerne etwas erfahren von Mundrys Gedanken zum Musikleben, zur Politik oder gesellschaftlichen Verantwortung des Komponisten. Eventuell wäre der Abdruck des im Literaturverzeichnis angeführten Artikels «Welche Musik? Welche Gesellschaft?» eine sinnvolle Bereicherung gewesen? Eine andere Möglichkeit wäre ein Beitrag von einem Outsider gewesen, der eine Analyse nicht trocken musikwissenschaftlich abhandelt, sondern vielleicht auch mal das subjektive Wagnis eingeht, Hörerfahrungen ohne Partitur zu transportieren. Stattdessen bewegt sich Inga Mai Groote («Zeiterfahrung und Zeitgestaltung bei Isabel Mundry») abermals im Rahmen von Werkkommentaren Mundrys, garniert von ästhetischen Allgemeinplätzen Bergson’scher Provenienz.
Angesichts vieler solcher Einschläge liest sich die Kritik des Musikwissenschaftlers Laurenz Lütteken an einer «geheimnisvoll-verschworenen Exklusivität» von «nicht unkomfortabel eingerichteten Reservate[n] der Festivals und Musica-Nova-Reihen» merkwürdig selbstherrlich. Aber gut: Gerade die Musikwissenschaft ist eine offene Gemeinde, die sich gesellschaftlich relevanten Themen zuwendet und den interessierten und wissbegierigen Leser anspricht! Gerne wollen wir es fortan glauben. Als erster Gegenbeweis dient leider der vorliegende Sammelband.

Torsten Möller