Iva Bittová Fragments I-XII
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 2
Iva Bittovás Musik fluktuiert permanent zwischen den Stilen, fast möchte man schon sagen: sie vagabundiert. Denn es lassen sich nur wenige ästhetische Orte ausmachen, die für die Musik Bittovás offenkundig Herzensorte sind, zu denen es sie immer wieder hindrängt, auch wenn sie diese bisweilen nur noch weiträumig umkreist.
Iva Bittová, 1958 in der damaligen Tschechischen Republik in Bruntal geboren, hat ihre erste berufliche Laufbahn erfolgreich in den 1970er Jahren als Schauspielerin absolviert. Erst dann begann sie mit dem Violinspiel. Bittová begann zu experimentieren, vermischte Elemente aus der mährischen Folklore mit einigem aus den verschiedenen Roma-Musikkulturen, mischte noch einige Anteile Rock und Avantgarde darunter, dazu noch eine Prise Klassik, insbesondere Sounds und Strukturen aus den musikalischen Universen von Mozart und Janácek.
So sollte Iva Bittová auch wieder absichtslos eine Rolle spielen in dem 1990 gedrehten Film des emphatischen Klangsuchers Fred Frith: Step Across the Border. Es mag ihn fasziniert haben, wie selbstverständlich Bittová in ihrer Musik das zum Ausdruck bringt, was sie darüber sagt, in der Wortwahl gefährlich nah zwar an den gefühligen Worthülsen der Pop-Branche: «Die Violine ist ein Spiegel, der meine Träume und Fantasien reflektiert. Ich glaube, dass meine Performance auf bestimmten Grundlagen basiert, den Schwingungen in der Musik und der Resonanz zwischen der Violine und meiner Stimme.» Doch macht man die Probe auf das berühmte Exempel, wird man überrascht von einer Musikerin, die sich von ihren Intentionen komponieren lässt, so wie sich ein Schauspieler von dem Text, von der Figur, die darzustellen ist, spielen lässt, indem er damit spielt.
Jetzt hat Iva Bittová ihre erste Solo-CD vorgelegt. Und weil sie selbst für ihren Stil noch keinen Namen gefunden hat, trägt diese Produktion schlicht ihren Namen. Ebenso minimalistisch verfährt Bittová bei der Benennung der Stücke Fragments I-XII und spielt schon hier in raffinierter Schlichtheit mit der Tradition. Diese Benennung suggeriert das Genre von Etüden, lässt an die tradierte Form der Sammlung denken, seien es die Bücher der Madrigalisten, seien es die Sammlungen romantischer Miniaturen.
Fragment I und XII funktionieren hier wie Alpha und Omega. Beide Stücke sind für Stimme, begleitet vom
Kalimba, dem afrikanischen Daumenklavier, gemacht, für sprachimitierende Vokalisen, getragen von einem Kalimba-Motivbordun. Überhaupt spielt das paarige Prinzip in diesem Dutzend Stückchen eine zentrale Rolle. Es gibt zwei Fragments für Violine und Stimme, das eine auf einen Text von Gertrude Stein, das andere auf einen von Chris Cutler. Ansonsten hört sich dieses Kompendium, das so fein ausgehört ist in seinen rhythmischen Symmetrien, ein wenig an wie eine moderne Fassung der Lieder ohne Worte. Gesangstechnisch benutzt Bittová vieles aus dem virtuosen Repertoire mährischer Folklore, gemixt mit orientalisch anmutenden Ingredienzen aus der Roma-Musik. Und sie spielt damit so, wie Luciano Berio mit der Folklore Siziliens spielte. Vor allem weiß Bittová stets um die richtige zeitliche Ausdehnung ihrer Musik und so bewahrt sie ihre ureigenste Poesie vor dem Abgrund des Gefühligen.
Annette Eckerle