Schultz, Wolfgang-Andreas

Japanische Landschaften

Verlag/Label: ES-Dur, ES 2042
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Wolfgang-Andreas Schultz ist ein Hamburger Urgestein, der erst Schüler, dann Assistent György Ligetis war und inzwischen selbst seit Jahrzehnten in Hamburg Professor für Theorie und Komposition ist. Die starke Affinität zum asiatischen Kulturkreis, insbesondere zur Musik und Kunst Japans, findet sich in dieser Kammermusik-Veröffentlichung schon im Titel Japanische Landschaften ausgewiesen, doch die kompositorischen Bezüge sind keineswegs so plakativ, wie sich vielleicht denken ließe.
In der Landschaft der Horchenden – Vier Menschen, Streichquartett Nr. 3 (2004/05), ist offenkundig Asiatisches eher selten unterwegs, auch wenn das übliche Inventar (Glissandi, Triller, Zentralton-Umspielungen) auch hier selbstverständlich nicht ganz fehlt. Vielmehr stehen in dieser suggestiven Klang­erzählung in sechs Sätzen («Landschaft mit Rätselbild» – «Der See der Trauernden» – «Der Garten der Liebenden» – «Das Tal der Dämonen» – «Der Wald der Verwandlungen» – «Der Berg des Schauens») Transzendent-Überpersönliches und emotionale Befindlichkeit, Kontemplation und expressive Subjektivität in explosiver Wechselbeziehung. Oszillierende Klanggewebe und feine mikrotonale Verästelungen kontrastieren mit Passagen elegischer Melodik und aufgewühlter Dramatik, ja auch «klassizistische» Einsprengsel werden von Schultz nicht verschmäht. Das alles fügt sich bei ihm aber vollkommen musikalisch zu einem Streichquartett in bes­ter Gattungstradition, dessen stilistische Verbindungen zu Jahrhundertwende und Schönberg-Schule überhaupt nicht verstaubt klingen.
Eines der zentralen Instrumente der japanischen Musik ist bekanntlich die Bambusflöte Shakuhachi, welche die Einheit von Naturlaut und Instrumentenklang besonders «natürlich» verkörpert. Schultz hat in Bilder auf dem Grund des Sees für Flöte und Streichtrio (2009/ 2010) zwar «nur» eine Querflöte westlicher Herkunft verwendet, jedoch den Flötenklang der Geräuschhaftigkeit und Wandelbarkeit asiatischer Tongebung angeglichen. Das Stück beruht auf der Vorstellung eines Flötenspielers, der sich am Ufer eines Sees oder in einem Boot befindet, und verwendet traditionelle japanische Skalen. Dennoch steht auch hier nicht der verklärte Blick des Europäers gen Osten im Mittelpunkt, sondern wie schon im Streichquartett der Konflikt zwischen asiatischer Meditationspraxis mit (hier von den Streichern verkörperten) «europäischen» Sehnsüchten und Gefühlen (die Renaissancemusik-Episoden tragen ihren Teil zur abendländischen Melancholie bei).
Auch der Flöten-Monolog Japanische Nebellandschaft (2003) macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme, auch wenn die ästhetischen Verkörperungen des Zenbuddhismus hier solistisch viel unmittelbarer in Erscheinung treten.

Dirk Wieschollek