Sahar, Nimrod

Je suis le vent d’apres John Fosse

Verlag/Label: Editions Hortus 105
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/06 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 3

Für diese CD braucht man Ruhe, innen wie außen. Ein fast einstündiger Zyklus für Countertenor und Violine ist ein mutiges Unterfangen – für Komponist, Interpret und Hörer. Der 1978 geborene israelische Komponist Nimrod Sahar geht dabei dem Dramentext Ich bin der Wind des Norwegers John Fosse auf den Grund – und das ist wörtlich zu nehmen. Wenn bei Fosse zwei Personen in einem Boot auf dem Meer schon die denkbar engste situative Verstrickungslage bedeuten, steigert Sahar diese noch durch Hinzuziehung einer Musik, die radikal Repetition und Intervall in den Fokus stellt und bei der Sprache nur rudimentär als Lautäu­ßerung vorhanden ist – als «Rest von etwas», das es nicht mehr gibt oder hinter den Lauten marginal zu finden ist.
Die Szenerie ist komplett von Einsamkeit und Ziellosigkeit geprägt, was trotz Sahars sehr geduldigem Umgang mit der Zeit nie beruhigt wirkt. Artaud, Beckett und der späte Nono stehen hier Pate, ohne aufdringlich zu werden – eine Bühnenumsetzung dieses Werks steht noch aus, drängt sich aber beim Hören fast bildhaft auf. Die äußerst direkte Aufnahme, bei der man sich manchmal auf den Saiten der Geige sitzen wähnt, verleiht dem Stück eine unnatürliche, kalt wirkende Schärfe. Statt der für Uneingeweihte schwer zu verstehenden Ausführungen über kompositorische Prozesse hätte man sich im Booklet (englisch und französisch) lieber einen Textabdruck gewünscht.

Alexander Keuk