Meier, Hermann

Kammermusik und Orchesterwerke 1960-1969

Verlag/Label: Musiques Suisses MGB CD 6268
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/03 , Seite 91

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4

«Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen.» Wenn es eines Beweises für Arnold Schönbergs Ausspruch bedürfte, so gäbe es ihn in der Person des Schweizers Hermann Meier (1906-2002). Jahrzehnte erfolglos, dennoch unermüdlich am Schreibtisch sitzend, für die Schublade komponierend, schuf er in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts großformatige Orchesterwerke, denen selbst die Uraufführung viel zu lange verwehrt war. Erst Ende letzten Jahres kommt der radikale Außenseiter postum zu Ehren. Die basel sinfonietta führt zwei Werke auf, die nun in der Reihe «Musiques Suisses» erschienen: Stück für großes Orchester (1960) und Stück für Orchester mit zwei Klavieren (1968).
Was ist das Besondere an Meiers Musik? Sie ist kraftvoll, voll innerer Energie auch in leisen Regionen. Charakteristisch sind Staccati, die wie Tupfer auf einer großen Leinwand erscheinen. Mit klassischer Themen-, geschweige denn Melodiebildung will Meier nichts zu tun haben. Ein rigoros anti-expressiver und anti-romantischer Tonfall ist kaum zu überhören. In Blöcken sind seine seriellen Strukturen organisiert, die die Vermittlung nicht kennen. Heterogenes prallt aufeinander, nicht nur sukzessive, sondern zuweilen auch in den Instrumentengruppen des Orchesters.
Neben den zwei Orchesterwerken bietet die CD ein vierhändiges Klavierstück (1960) und ein klanglich ausgesprochen apartes Stück für die ungewöhnliche Besetzung Klavier, elektrische Orgel und Cembalo (1969). Eigenwillige Kompositionstechniken sind hier wesensgemäß deutlicher als in den ungeheuer dichten Orchesterwerken. Meier arbeitet mit kleinsten Zellen, oft in Form rhythmischer Motive auf einem Ton. Das von Karlheinz Stockhausen perfektionierte Abwägen von Informationsdichten beherrscht auch der 1906 in Selzach Geborene. Manchmal scheint es, als bewege er sich ganz bewusst in versandende Sackgassen, um mit höchstem Kalkül wieder Auswege zu finden.
2002 ist Meier als ein – die verschlissene Phrase wird ihm kaum gerecht – «zu Unrecht Vernachlässigter» gestorben. Im von Urs Peter Schneider etwas zu persönlich verfassten Book­let kommt der sympathische und vielseitige Meier oft zu Wort. Nicht wenig Humor zeigt er, der auch in seiner Musik – vor allem im verspielten Stück für Klavier vierhändig (1960) – mitschwingt. Gehorchen müsse er seiner Frau Helen, die ihm sagt, er solle «dann und dann zurück sein, aufräumen und so weiter; und wenn ich dann am Schreibtisch bin, muss ich wieder gehorchen, dem Drang zu komponieren. Es ist wie ein Fluch; einmal kam ich mit einem meterlangen Plan nicht weiter, er hing wochenlang an der Wand, bis ihn die Katze eines Tages herunterriss, zum Glück.»
Torsten Möller