Glass, Philipp
Kepler
Inszenierung: Peter Missotten; 120 min. | Stereo
Zu einer Zeit, als dem Minimalismus in Europa noch die Frische des Neuen anhaftete, machte Phil Glass mit dem in Zusammenarbeit mit Bob Wilson entstandenen Bühnenstück «Einstein on the Beach» Furore. Das war 1976 beim Festival in Aix-en-Provence. Inzwischen ist er zu einem Großproduzenten geworden, der die internationalen Bühnen mit minimalistischer Meterware versorgt. Seine Musik tritt oft auf der Stelle, doch was die Stoffe angeht, hat er stets einen guten Instinkt bewiesen. Charismatische Figuren aus aller Welt haben es ihm besonders angetan. Nach Einstein wurden 1980 Mahatma Gandhi (in Satyagraha), 1983 Echnaton und 2001 Galilei zu seinen Opernhelden, und mit Sujets wie «The CIVILwarS» und der Musik zum Film «Koyaanisqatsi» hatte er in den 1980er Jahren auch einen feinen Riecher für den Zeitgeist.
Von den großen Männern der Geschichte war 2009 nun Johannes Kepler an der Reihe. Die Uraufführung der neuen Oper fand abseits der großen Metropolen und Festivals statt, nämlich in Linz an der Donau. In dem vom Landestheater Linz mit hauseigenen Kräften produzierten Zweiakter entwickelt Kepler zwischen Träumen und Nachdenken seine Theorien. Das Libretto klingt durchaus wissenschaftlich. Kepler singt: «Der Marsbahn umschreibe ich ein Tetraeder», und der Chor ergänzt: «Die dieses umspannende Sphäre ist der Jupiter.» Die Regie sucht dabei nach passenden Bildern. Musikalisch unterlegt Glass diese Verlautbarungen in Deutsch und Latein mit den für ihn charakteristischen Ostinatobändern, die zwischen Trance und Langeweile schwanken und von Dennis Russell Davies mit stoischer Ruhe abgewickelt werden. Diesmal tendiert Glass etwas mehr zu den tiefen Registern, was den Videoprojektionen von geometrischen Figuren und Himmelskörpern im Bühnenhintergrund eine geheimnisvolle Note verleiht.
Bei aller Skepsis gegenüber der stereotypen Soundmanufaktur erstaunt immer wieder das Geschick, mit dem Glass seine Themen über die Bühne bringt. Sein Geheimnis liegt wohl darin, dass er einen konsequent unpsychologischen Plot ebenso konsequent mit seinem Minimalismus-Teppich unterlegt und diesen mit entpersönlichten Stimmungen und Assoziationen auflädt. Und irgendwie funktioniert das dann sogar. Die Oper, ein Mysterium mit eigenen Gesetzen.
Max Nyffeler