Gethmann, Daniel (Hg.)

Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik

Verlag/Label: [transcript], Bielefeld 2010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 92

«Die Leute wollen heute wieder mit dem Lötkolben hantieren. Sie wollen wissen, was geschieht, wenn man nicht einfach programmiert, sondern richtige Eingriffe in eine Schaltung macht. Da ist wieder ein Hauch von Abenteuer.» Bruno Spoerri, seines Zeichens Improvisator und Schweizer Elektronik-Pionier, benennt es: Zwar kann von einer «Krise» des Digitalen kaum die Rede sein. Aber unübersehbar ist auch, dass eine immer wieder empfundene Sterilität, Kühle und Perfektion des Computer Sounds viele Komponisten wieder zur Mechanik, somit vielleicht auch zur Medienarchäologie führt.
Reiches Anschauungsmaterial finden Musiker in Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik. Skurrile Erscheinungen wie das Pyrophone hat der Herausgeber Daniel Gethmann ausgegraben. Ausgehend von einem Patent von John Tyndall stellt der Konstrukteur George Eugène Frédéric Kastner 1873 ein Instrument vor, das auf Tastendruck eine Oktave spielen kann mithilfe von Flammen zum Schwingen gebrachter Glaskolben. So attraktiv die Verknüpfung des Visuellen mit dem Akustischen ist – Alvin Lucier hat sich des Prinzips in seinen Tyndall Orchestrations bemächtigt, wo Interpreten mit Bunsenbrennern und Glasröhren agie­ren –, wäre es übertrieben, von einer Karriere des Tyndall-Prinzips der singenden Flamme zu sprechen.
Das gut lektorierte Buch, zurückgehend auf eine gleichnamige Tagung des Instituts für Medienarchäologie in Hainburg an der Donau in Zusammenarbeit mit dem Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der Technischen Universität Graz im Jahre 2009 zeigt gewiss eines: das Scheitern. Ferruccio Busonis radikaler Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst blieb Wunschdenken. Trotz teils regen Zuspruchs seitens Edgard Varèse, Kurt Weill oder auch Paul Hindemith konnte sich die Forderung nach neuen Instrumenten und Musikgeräten nicht durchsetzen. Besonders eklatant klafften Anspruch und Wirklichkeit bei Thaddeus Cahill und dessen Telharmonium von 1906 auseinander. In der Frühzeit des Telefons wollte Cahill den Hörern ihre Wunschmusik von Mozart bis Lehár per Ohrmuschel zukommen lassen. Übersehen hatte er aber die Überlastung des Telefonnetzes, das durch die Signale des 200-Tonnen-Ungetüms zusammenbrach. Zwischen 1902 und 1914 verschlang das Projekt insgesamt 1,6 Millionen Dollar. Das Resultat: nach 1910 Abschaltung, 1958 schließlich Verschrottung zwecks Einsparung horrender Lagerkosten.
Die Autoren des Bandes kommen vorwiegend aus den Bereichen der Medienwissenschaft oder Wissenschaftsgeschichte. Aufgrund einer nicht im­mer ausgeprägten Technik-Affinität unter Musikästheten hat das Vorteile im Hinblick detaillierter Beschreibungen bestimmter Konstruktionen, quasi der hard facts einmal gebauter elektrischer Geräte. Die Kehrseite ist eine gänzlich fehlende oder oberflächliche Anbindung an die Kompositionsgeschichte. Wenn Myles W. Jackson die Geschichte des Metronoms mit einer Betrachtung von György Ligetis Poème symphonique abschließt, liest sich das wie eine konstruierte Hausarbeits-These. Da sich in vielen anderen Fällen die Frage der Anwendung gänzlich erübrigt, bleibt es bei einem Einblick in oftmals abgeschlossene Kapitel der Mediengeschichte. Informativ und lesenswert ist das aber allemal.

Torsten Möller