Riedl, Josef Anton

Klangregionen 1951-2007

Verlag/Label: ed. RZ 1020-21
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/04 , Seite 92

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Dogmatismus ist Josef Anton Riedls Sache nie gewesen. Mochten sich andere in Szene setzen, Jünger um sich scharen und Lehrmeinungen verkünden wie die von der vollständigen seriellen Durchrationalisierung aller musikalischer Parameter, die dann urplötzlich in ihr genaues Gegenteil umschlug. Riedl hielt sich dezent zurück, förderte lieber andere als unermüdlicher Organisator von Konzertreihen, zuerst in München und dann in Bonn, und wirkte durch das unaufdringliche Vorbild seiner Tätigkeit und seines musikalischen Werks. Dabei ist Riedl in verschiedener Hinsicht ein Pionier neuer Musik der Nachkriegszeit, der seit fast sechzig Jahren bis heute unbeirrbar undogmatisch seinen Weg geht. Dies zeigt die vorliegende Doppel-CD, die von frühen Beispielen der Musique concrète über elektronische Werke bis hin zu neueren Kompositionen einen weiten Bogen schlägt.
Ein entscheidendes Erlebnis, dem sich die ersten Arbeiten auf der CD anschließen, war die Begegnung mit Pierre Schaeffer in Aix-en-Provence 1951. Es folgen elektronische Kompositionen aus dem von Riedl gegründeten und von 1959 bis 1966 geleiteten Münchner Siemens-Studio. Obwohl sich das Werk über die Jahrzehnte hinweg immer weiterentwickelt, bleibt ein grundlegender Duktus bis in die jüngste Zeit immer erkennbar. Riedl ist kein Konstruktivist, er verwendet vorgefundenes Material, seien dies Umweltgeräusche, elektronisch erzeugte Klänge, die menschliche Stimme, Instrumentalklänge oder andere Klangquellen, die er in ihren Eigenschaften untersucht. Aus profanem Papier entsteht gleich im ersten Stück der CD eine leidenschaftliche Geräuschcollage, die in ihrer beißenden Schärfe trotzdem erstaunlich farbig bleibt. Zeichnen, Klatschen, Händereiben und Tier­laute gehören ebenso zum Repertoire wie Harfe und Zither oder Bruchstücke profanerer Unterhaltung. Besonders schön das Vielleicht – Duo, in dem Johannes Göhl mit der Stimme den Grenzbereich an der Wasseroberfläche erkundet.
Riedl zerhackstückt sein Material; dies ist zu verstehen als Gestus der Auflehnung gegen homogene Weltbilder seitens eines Komponisten, der seine Kindheit und Jugend an ständig wechselnden Orten auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Tyrannei verbracht hat. Denselben Gestus, den er letztlich der Anregung der Musique concrète verdankt, wendet er aber auch an auf Instrumentalkompositionen, manchmal durchaus rhythmische elektronische Werke, abstrakte Lautgedichte, frühe Multimedia-Aufführungen und Performances. Ganz dem Modell der Riedl’schen Montage folgt auch Helmut Rohms auf der zweiten CD enthaltenes, knapp einstündiges radiophonisches Porträt, in dem Zeitgenossen wie Dieter Schnebel und Heinz-Klaus Metzger zu Wort kommen.

Dietrich Heißenbüttel