Chin, Unsuk

Klavierkonzert | Cellokonzer | Šu Konzert für Sheng und Orchester

Verlag/Label: Deutsche Grammophon CD 4810971
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/02 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Drei Solokonzerte, zwei davon für «klassische» europäische Instrumente, nämlich Klavier und Violoncello, eines für ein bekanntes ostasiatisches Instrument, die Sheng: der gleichmäßige Titel Konzert für … scheint für eine konventionelle Machart zu spre­­chen. Doch weit gefehlt: Zwar zeigt das Klavierkonzert gewisse Züge des Virtuosentums und stellt das Cellokonzert melodiöse Elemente in den Vordergrund, aber die vielfältige Sheng, die zwar uralt ist, aber einen wichtigen Modernisierungsprozess hinter sich hat, dominiert das entsprechende Werk, was schon wieder in die Romantik zurückzuweisen scheint. Die Klangwelt der in Berlin lebenden Koreanerin Unsuk Chin (geb. 1961) ist so eigenständig und so «anders» als bei üblichen Solokonzerten, dass der offensichtlich falsche Eindruck der Konvention sich schnell in nichts auflöst. Ihre außerordentlich klangsinnliche Musik bildet ein nicht  auseinanderdividierbares Konglomerat europäischer und koreanischer Erbschaften; es hat sich ein ganz eigener Stil herausgebildet, der überall und nirgends herstammen kann, aber sich schnell erschließt.
Unsuk Chin meidet sowohl die Ecke «Frauenmusik» wie auch die Avantgardezirkel, von ihr erklang noch kein Werk in Donaueschingen, und doch ist die Zeitgenossenschaft ihrer Musik in jeder Note unverkennbar. Internationale Anerkennung fand sie u. a. durch den Grawemeyer Award für ihr Violinkonzert, durch ihre Residenz beim Luzern Festival 2014, und das ganz «normale» Publikum des Bremer Musikfests feierte ihr Sheng-Konzert geradezu stürmisch. Chin, die bescheiden anmerkt, eigentlich habe sie Pianistin werden wollen, sie komponiere doch nur, um ihr Brot zu verdienen, ist längst eine hoch originelle Erscheinung der Neue-Musik-Szene.
Auch wenn ihre Titel selten so etwas wie einen narrativen Inhalt des Werks erkennen lassen, verbergen sich in den einzelnen Sätzen und Abschnitten doch bildhafte Vorstellungen über den Einzelnen (den Solisten) und die Masse (das Orchester), Vorstellungen, die alt sind, denen Chin aber neue Aspekte abgewinnt und diese klanglich überzeugend inszeniert. Der stilistische Synkretismus ihrer Musik, besonders deutlich am Sheng-Konzert ablesbar, hebt selbst die ortbaren Herkünfte, gerade bei diesem ursprünglich chinesischen In­strument, auf eine verallgemeinerte Ebene, die nichts traditionalistisch Rückwärtsgewandtes mehr an sich hat, übrigens auch im Titel Šu (Luft), der verblüffenderweise aus Ägypten stammt.
Der koreanische Pianist Sunwook Kim, der deutsche Cellist Alban Gerhardt und der chinesische Sheng-Virtuose Wu Wei realisieren diese unterschiedlichen Aspekte vorbildlich. Das Orchester aus Seoul profiliert sich unter der souveränen Stabführung des lange bekannten Myung-Whun Chung als bestens präpariertes Ensemble für Chins fesselnde Musik.
Hartmut Lück