Torp, Martin
Klavierwerke
Reihe «Zeitgenossen Musik der Zeit» 36
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4
Synästhesie, die Eigenschaft, dass Klangeindrücke zugleich Farbempfindungen auslösen, ist häufiger als man zunächst denkt. Unter den schöpferischen Musikern ist Olivier Messiaen das wohl bekannteste Beispiel hierfür. Wenn Messiaen über Harmonien «von grün gestreiftem Blau» in seiner Musik redete, ließ er allerdings nicht synästhetisch begabte Hörer stets ein wenig ratlos zurück. Ganz so weit wie Messiaen geht der 1957 in Flensburg geborene Martin Torp nicht, wiewohl auch er in seiner Musik oft Visuelles mitdenkt und -empfindet. Nicht zu vergessen ist dabei, dass Torp lange Jahre gleichzeitig als Maler aktiv war, bevor er sich in den letzten Jahren endgültig allein dem Komponieren verschrieb.
Die auf der vorliegenden CD von ihm selbst eingespielten Klavierstücke sind denn auch zum größeren Teil von der bildenden Kunst inspiriert. Zudem begegnen sich in ihnen Formen und Techniken der abendländischen Kultur mit Anregungen aus der asiatischen Musik. Letzteres äußert sich besonders in Torps 2009 entstandener Sonate 2, welche in ihrem Finale indonesische Gamelan-Klänge reflektiert, während der Kopfsatz die europäische Tradition vertritt und das dazwischen stehende «Adagio» die Brücke zwischen beiden Sphären schlägt.
Der Titel Still-Leben, den Torp einem Zyklus von ein- bis zweiminütigen Miniaturen gegeben hat, provoziert die Verwechslung mit dem «Stil-Leben» der Malerei. Kurze Stücke Klaviersatz, oft melodisch floskelhaft und von einem langsamen Puls grundiert, erleben in der Wiederholung kleine, allmähliche Veränderungen und finden aus ihrem Kreislauf heraus endlich den erlösenden Zielpunkt.
Direkt auf Bildvorlagen zurück gehen dann die von russischer religiöser Kunst angeregten Ikonen, in denen Torp auf monumentalere Klangwirkungen setzt (an Mussorgskys «Großes Tor von Kiew» fühlt man sich etwa bei der «Himmelfahrt Jesu» erinnert), aber auch mit sparsamen Tönen die Askese Johannes des Täufers in der Wüste einfängt. Ebenfalls Werke der Kunst hat Torp bei seinen Klee-Blättern im Auge, darunter die schon von Giselher Klebe in Musik umgesetzte Zwitschermaschine. Ein wenig bedauert man, dass das Booklet keine Wiedergaben der entsprechenden Aquarelle und Bilder bietet.
Aus dem sonstigen Rahmen fällt der Zyklus Modern Art, bei dem Torp in der Wahl avancierter Spieltechniken Parallelen zur Stilistik von bildenden Künstlern des 20. Jahrhunderts herzustellen versucht. So erfährt etwa Jackson Pollocks Drip Painting seine Entsprechung im Spiel mit Metallketten im Inneren des Flügels, Yves Kleins Monochromie wird in Flageolett-Effekte über ostinatem Basston umgesetzt, und Emilio Vedovas wilde Informel-Malerei veranlasst Torp schließlich dazu, den Flügel mit Handflächen und Unterarmen zu traktieren.
Gerhard Dietel